Johannes Stahl

Ausschnitte der Rede am 08. April 2016 anlässlich der Übergabe des Sperrmüll-Arrangements "Die Zuschreibung" von Christian Hasucha auf der Kunstausstellungsfläche 10qm an die Kölner Öffentlichkeit.

… Zumindest für den Anfang ist es wichtig zu sagen, dass es sich hierbei um das handelt, was es zu sein scheint: nämlich Sperrmüll. Dieser Sperrmüll ist nicht in Köln beheimatet, sondern in Berlin. Christian Hasucha hat mit seinem sehr genauen Auge diese Sperrmüll-Situation in Berlin gesehen und hat sie mit der ihm eigenen Genauigkeit vermessen. Ihm war es wichtig – Sie erinnern sich vielleicht an das Bild auf der Einladungskarte –dass dies hier auch wieder ganz genau eingenordet, eingewestet wird. Sie erinnern sich vielleicht an den kleinen Kompass auf dem Bild.

… Ich bin ja hier als Kunsthistoriker, ich versuche, den einen oder anderen Wahrnehmungsweg für Kunst frei zu bahnen – also in diesem Fall für Ihre Betrachtungen hier.

Auf die Genauigkeit von Christian Hasucha habe ich schon hingewiesen. Das bringt mich dazu, zu überlegen, inwieweit wir es durch diese Translokation aus einer anderen Situation mit einem Stillleben zu tun haben. Vielleicht ist der Gedanke erst einmal weit weg, aber beim Stillleben spielt das Arrangement eine sehr große Rolle. Das sind hocharrangierte Dinge, die in freier Wildbahn kaum anzutreffen sind. Da wird etwas eingenordet, eingeostet. Bei Stillleben gibt es immer auch die Situation, sie sich als Bild vorzustellen, das heißt, dass es ein gewählter Ausschnitt aus einer wie auch immer gearteten Realität ist; etwas, das man so sehen soll. Christian Hasucha ist ein Künstler, der sehr häufig Displays geschaffen hat, Bilderrahmen irgendwo in der Landschaft von Norwegen oder ein Rahmen um einen Baum, der dort auch hineinwachsen soll. Es handelt sich um Bildbeschränkungen, die aber gleichzeitig auch die Möglichkeit bergen, dass der Blick für eine bestimmte Situation vielleicht genauer wird. Drittes Element: Bei Stillleben ist das die sogenannte Vanitas, die Vergänglichkeit. Die meisten barocken Stillleben zeigen tatsächlich neben Blumen, Äpfeln und Vasen auch irgendetwas leicht Ekliges – vielleicht eine Fliege auf einem Fisch, vielleicht sieht man an irgendeiner Stelle auch schon den Verfall – gut, der moralische Zeigefinger ist hier meist direkt erkennbar. Aber auch das Prozessuale ist hier ein ganz wichtiges Element. Ebenso in den Arbeiten von Christian Hasucha, auch wenn das ein "hingestelltes" Bild ist und auch, wenn die Tür vom Kühlschrank abgerissen ist und nur angelehnt ist: sie ist ganz genau so angelehnt, wie Christian Hasucha sie in Berlin vorgefunden hat. Trotzdem, wir ahnen, dass da ein Prozess in Gang kommen könnte, spätestens, wenn jemand aus Versehen daran anstößt.

… Ich muss mich (deswegen) noch einmal kurz besinnen auf das, was auf der Einladungskarte stand. Das stand das Wort ‚Zuschreibung'. Christian Hasucha ist jemand, der für seine Kunstwerke sehr häufig Titel wählt, die etwas sehr Definitorisches haben, die meistens eine Präposition haben so wie: ‚Die Zuschreibung'. Da musste ich wieder ins Lexikon schauen, denn ich bin ja misstrauisch: als Kunsthistoriker weiß man ja, hat man eine Vorstellung von etwas, aber nicht jeder versteht unter ‚Zuschreibung' dasselbe. Und da lese ich tatsächlich von psychologischen Definitionen, nach denen es um bestimmte Eigenschaften geht, die man Dingen dadurch verleiht, indem man sie quasi in diese Definition einbindet, sie dort einbaut. Also, man schrieb Dingen eine bestimmte Eigenschaft zu und Psychologen fingen an, mit solchen Definitionen zu arbeiten. Am Ende entstand ein ganzes Theoriegerüst.

… der Kunsthistoriker kennt die ‚Zuschreibung' natürlich als etwas, was mit Künstlern zu tun hat. Ich habe während einer Italienreise einmal ein sehr dickes Buch erworben. Es war von einem amerikanischen Kunsthistoriker. Er ist über die Flohmärkte gefahren und hat dort Bilder gekauft. Darüber hat er das dicke Buch publiziert, wobei er fast alle seine Bilder Raffael zugeschrieben hatte. ‚Zuschreibung' ist also das, was der Kunsthistoriker macht, wenn er erst einmal nicht ganz sicher ist, woher das Kunstwerk kommt. Er äußert dann eine Vermutung, die er nach Möglichkeit auch argumentativ stützen kann. Ja, und jetzt, wenn da ein Werk zugeschrieben ist, wächst es auch wieder im Wert.

Vielleicht gibt es tatsächlich zwischen den verschiedenen Formen der Zuschreibung ein kompliziertes Wechselverhältnis. Das könnte bei einem Alchimisten wie Christian Hasucha durchaus eine Rolle spielen, da solch ein Titel für ein Arrangement, was so aussieht, als wenn es jemand hierher verschleppt hat, mit Zuschreibungs-Szenarien zu tun hat. Er ist auch klug genug, sich auf keine bestimmte Version von ‚Zuschreibung' festzulegen. Trotzdem, wenn etwas im Laufe der Zeit zu wertvoll wird, zu viel Erfolg hat, dann kommt einem vielleicht doch noch jemand anderes, nämlich Marcel Duchamp, in den Kopf, der sich sein Leben lang gefragt hatte: "Kann man etwas machen, was keine Kunst ist?" Und der sich auch, als er zu viel Erfolg hatte, die Frage gestellt hat: "Wie komme ich aus dieser Nummer wieder heraus?"

Danke.

Vgl. Projektdokumentation Nr. 69 Die Zuschreibung