Johannes Imdahl

Christian Hasucha:

"Re-Akklimatisierungsraum"
Galerie bauchhund Salonlabor, Berlin
31.10.2014 – 06.12.2014

Ein Zimmer geht auf Reisen – nicht das erste Mal geschieht dies im Laufe von Christian Hasuchas langjähriger Projektreihe der "Öffentlichen Interventionen". Vor einigen Jahren hatte der 1955 in Berlin geborene Künstler die Einzimmerwohnung seines Nachbarn Günter leergeräumt und für zwei Wochen auf einem Gerüst in der Innenstadt von Mülheim an der Ruhr nachgebaut, in gleicher Höhe und Himmelsrichtung, samt Mobiliar, dem Fenster mit dem Kissen, auf das sich der Nachbar gern lehnte, und Günter selbst dort wohnen lassen.

Für fünf Wochen hat Hasucha nunmehr sich und sein Atelier-Büro von der Karl-Marx-Straße in die Galerie bauchhund Salonlabor versetzt. Sperrig, denn ebenso eingenordet zwängt sich der Nachbau im Maßstab 1:1 mit seinen Holzwänden um rund 35° verdreht in seinen Wirtsraum. Was man schon von außen durch die Glasfenster der Galerie sieht, konkretisiert sich beim Eintreten: hier liegen zwei Räume, die sich die Eingangstür und die Decke teilen, überkreuz und streiten um Gültigkeit. Mehr Hypothese als Faktum, evoziert das rekonstruierte Büro, dessen Fenster hier bloß offene Durchlässe sind, mit seiner angedeuteten Dachschräge, doch mit nahezu vollständiger Original-Einrichtung und dem am Schreibtisch arbeitenden Künstler Fragen zu den Gewissheiten räumlicher Identität - wie ablösbar ist ein Raum von seinem Ort, was geschieht hier eigentlich?

Darüber hinaus tritt das Büro-Modell als "Re-Akklimatisierungsraum" in Erscheinung.



CHRISTIAN HASUCHA, Re-Akklimatisierungsbüro, 2014,
1:1-Nachbau von Hasuchas Büro, Reisedokumentationen.
Oben: Originalbüro, teilweise beräumt
Unten: Nachbau im Galerieraum des bauchhund Salonlabor
Fotos: copyright Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, 2014

Knapp ein halbes Jahr lang war Hasucha mit seinem Werkstattwagen entlang der Schwarzmeerküste in Südosteuropa unterwegs gewesen, hat sich treiben lassen und gearbeitet, wo es ihm geeignet erschien. Er hat bei seiner Reise "am Horizont gedreht, Schatten nachgezeichnet oder gedoppelt, in Landschaften Markierungen und Anhaltspunkte implantiert und entnommen, hat etwas in den Wind geworfen, Fröschen Sergej Rachmaninov aus dem Autoradio vorgespielt oder einem Fluss seine Fließrichtung gezeigt" (Christoph Böhm, bauchhund Salonlabor). Der "Re-Akklimatisierungsraum", nicht ohne Ironie tatsächlich südöstlich des echten Atelierbüros gelegen, dient Hasucha als Ort des halböffentlichen Zwischenstopps, des Ordnens und Weiterverarbeitens seiner Reise-Interventionen.

Als Entwurfszeichnung und als Foto ist zum Beispiel "Der Tisch und sein Berg" zu sehen, ein bei Abana (Türkei) in die Felsenküste gestellter Holztisch mit schwarzem Metallgestell, dahinter das Meer. Aus der mit Stichsäge bearbeiteten Tischplatte ragt als Miniatur-Berg ein Stück Felsen heraus. Dieser Tisch erscheint ganz anders als sein gläserner, physisch präsenter Verwandter im Büro-Modell. Ins Bildliche übertragen, löst er als gleichsam vertrautes, doch einsames und transformiertes Objekt eine besondere Empfindung aus, der nur allmählich Begriffe folgen. In weiches Licht getaucht, kontrastiert die Gesteinsoberfläche in der unteren Bildhälfte und ihre dynamisch über die Bilddiagonale verlaufende Kontur mit der sanften Meeresoberfläche und ihrem geraden Horizont. In diese archaische Szenerie fügt sich der Tisch, in seiner Gestalt nur leicht gewandelt, als archetypischer Kulturgegenstand, als Chiffre menschlichen Daseins.

Wie ein Scharnier zwischen Mensch und Natur poetisiert und erklärt er die Landschaft, indem er die aus der Meeresfläche herausragende Landmasse skulptural aufgreift, sich in die Landschaft einbettet und sie gleichermaßen als Modell in sich einschließt. Als lose an die Wand gepinnter Papierausdruck vermittelt sich die Arbeit nicht als eine Hochglanz-Trophäe der Expedition; sie huldigt nicht einer Fotografie, die sich über ihren Gegenstand erhebt. Fernab jeden Verdachts digital-manipulativen Eingriffs gestattet das Bild eine betrachtende, assoziative Beschäftigung mit seinem seinem Ursprung, ohne technische Fragen zu berühren.



CHRISTIAN HASUCHA, Der Tisch und sein Berg, 2014,
Verschränkung von Tisch und Felsenküste bei Abana (Türkei).
Foto: copyright Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, 2014

Vergleichsweise raffiniert ist dagegen eine kontemplative Bewegtbild-Arbeit. Ein hochformatiger LCD-Monitor zeigt "Der Schatten und sein Bruder", ein ebenfalls menschenleeres Bild mit einem Sonnenschirm am Strand, der, streng mittig kadriert, zur linken Seite einen Schatten auf den Sandboden wirft. Rechts erscheint und verschwindet in langsamen Überblendungen ein zweiter Schatten, der die Symmetrie der Komposition zeitweise vervollständigt; ein recht kurzer Loop ohne Wandern der Sonne, geschickt gemacht, denn man sieht keine Überblendungen in den Wellen des in der Tiefe zu sehenden Meeres. Wie ein Arbeitsfoto in der Nähe des Bildschirms offenbart, handelt es sich bei dem rechten Schatten um Wasser, das auf den Boden gesprüht worden war.



CHRISTIAN HASUCHA, Der Schatten und sein Bruder, 2014, Videoloop,
Küste bei Ordu (Türkei), Sonnenschirm, Wasserfleck, in den Sand
gesprüht und per Stopmotion dokumentiert.
Video: copyright Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, 2014

Eine weitere Videoarbeit ist eher dokumentarischer Natur und zeigt, wie Hasucha den kleinen Teil einer abgelegenen, von Wald und Feld umgebenen Schotterfläche bearbeitet. Mittels Pappschablone und weißem Sprühlack werden vier Winkel gleich einer Parkplatzmarkierung auf den Boden aufgetragen. Das kurzweilige, rhythmisch montierte Video zeigt den Arbeitsprozess und endet damit, wie Hasucha den Werkstattwagen, seinen für Arbeit und Reiseleben umgebauten Transporter, mit etwas Rangieren sorgsam in das durch die Klammern angedeutete Rechteck setzt - wie als erfüllender Abschluss eines notwendigen Vorgangs. Später lässt er die einsame Bodenmarkierung als Befragung eines Zeichens außerhalb seines gewohnheitsgemäßen Kontextes zurück.



CHRISTIAN HASUCHA, Claim for a day, 2014,
Sprühlack-Markierung auf Schotterplatz bei Baile Heraculane, Rumänien
Foto: copyright Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, 2014

Auch der "Flusspfeil" prägt der Landschaft ein Zeichen ein. Bei Veliko Tarnovo in Bulgarien konstruiert Hasucha einen etwa fünf Meter langen, Holzrahmen, bespannt ihn mit weißer Folie und setzt ihn in Strömungsrichtung mittig auf die Wasseroberfläche des Flusses Jantra; mit Nylonfäden und Beschwerungssteinen befestigt er ihn an seiner Position. Vom gewählten Betrachtungsstandpunkt aus scheint das Objekt nicht auf der Wasseroberfläche zu liegen, sondern vor dem vorbeiziehenden Strom zu schweben – ein Effekt, der durch die Bauform des Pfeils, die die perspektivische Verjüngung aufhebt, und die Einäugigkeit der Kamera begünstigt wird und erst im laufenden Filmbild zur vollen Geltung kommt.



CHRISTIAN HASUCHA, Flusspfeil, 2014, Foto und Videodokumentation,
weiß bespannter Holzrahmen, mit Angelschnüren im Fluss Jantra bei
Veliko Tarnovo (Bulgarien) verankert.
Foto/Video: copyright Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, 2014

Immer wieder wird bei Hasucha Bekanntes mit Bekanntem so konfiguriert, dass sich ein merkwürdiges, irritierendes Drittes daraus ergibt, das die Aufmerksamkeit erregt, Wahrnehmungsmuster aufbricht und auf ästhetische Weise zu Reflexionsprozessen anregt. Die scheinbar selbstverständliche Wichtigkeit etwa von Ordnungs- und Leit-Instrumenten wird auf subtile Weise parodiert und in Frage gestellt. Auf seiner Reise durch die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Georgien stieß der Künstler nach eigener Aussage wiederholt auf Umgebungen, die in sympathischer Weise auf Improvisation und Selbstregulierung schließen lassen, während sich im eigenen Kulturkreis eine fortschreitende Normierung in der Gestaltung des täglichen Lebens beobachten ließe.

Entlang der Grenze von Alltagswelt und Kunst - die Zone, die Hasucha am liebsten bespielt – scheinen dem Künstler bei seiner Arbeit zahlreiche Menschen, deren Sprache er nicht spricht, mit Vergnügen zu Hilfe gekommen sein; so dokumentieren es einige Arbeiten und Materialien. Den Tisch bei Abana hatte ein türkischer Dorfbürgermeister beschafft, beim Flusspfeil halfen bulgarische Männer in Badehosen.
Christian Hasuchas "Reakklimatisierungsraum" gewährt auf unkonventionelle Weise Einblicke in sein work in progress, er versteckt nicht die vielgestaltigen Prozesse, die sich hinter der Erscheinungsform seiner Arbeiten verbergen. Das Kunstwerk, so scheint es, verliert, wenn es auf das Ergebnis, das eine Foto, die Installation, ein Video reduziert wird. Es sind ebenso die Entwürfe, die Geschichten, Handlungen, Bewegungen und Interaktionen, die es als künstlerische Gebärde, als soziale Plastik lebendig machen, womit auch die Frage geklärt wäre, was in diesem Modellraum eigentlich geschehen ist.

Vgl. Projektdokumentation Nr. 67 Reakklimatisierungsraum