Thomas West

Republic of Ready-Mades

...Die beste Skulptur in Deutschland fand sich in diesem Jahr allerdings nicht auf der Documenta, sondern in Köln...
...Spätestens seit den sechziger Jahren ist es Tradition, den politisch engagierten, manchmal hysterischen Ton des Berliner Künstlers dem ruhigeren, konzeptionelleren Modus des Rheinländers gegenüberzustellen. Aber im Fall von Christian Hasucha funktioniert dieser Gegensatz nicht, vielleicht weil Hasucha der seltene Berliner Künstler ist, der tatsächlich in Berlin geboren wurde. Weit entfernt von Bergmann, aber genauso zugänglich, hat der dreiunddreißigjährige Hasucha bereits in London, in Brüssel (in der Galerie Camomille) und in Köln (in der Galerie van Aken) ausgestellt. Er ist ein kleiner, ruhiger Mann mit einem rötlichen Bart. Er hat in London studiert, wo er sich angewöhnt hat hat, eine Stoffmütze zu tragen und über das Werk von Tony Cragg und Marcel Duchamp nachzudenken. Das erste Mal sah ich Christian Hasuchas Arbeit durch ein Guckloch in der Brüsselerstraße in Köln. Dort entdeckte ich das Bild eines Baumes, der blau angemalt und mit dem Wort Orinoco beschriftet war. Ich bat Herrn Hasucha, mit mir in ein Hinterzimmer zu gehen, wo wir folgenden Austausch hatten:

Frage: "Du hast Natur und Malerei im physischen Sinn kombiniert. Zum Beispiel, indem Du Bäume bemaltest. Wieso?"

Hasucha: "Ich habe Bäume nicht nur bemalt, sondern ich habe sie umgestaltet, das heißt, abgebrochene Äste zersägt und wieder zu neuen, baumähnlichen Gebilden zusammengesetzt, zimmermannsmäßig mit Schwalbenschwanzverzinkung versehen. Ich hatte als Großstadtmensch lange Zeit kaum eine Beziehung zur Natur. Mit der Bemalung von Teilen der Natur stelle ich mich jeweils einem bestimmten Teil der Umgebung, meistens auf Reisen. Ein kleiner Ausschnitt der Landschaft regt mich an, dort etwas hinzu zu fügen, etwas, was ein Exponent meiner Vorstellung über das betreffende Gebiet sein könnte. Dieser Exponent soll also meine Idee repräsentieren, innerhalb einer sehr dominierenden Umgebung, und soll außerdem wie aus einer anderen Welt, wie ein ‚alien' wirken. Um den Kontrast zwischen ursprünglicher Umgebung und Hinzufügung möglichst groß zu halten, wandte ich mehrere Tricks an: umgebildete Pfützen fotografierte ich im Gegenlicht, um durch die Reflexion weiße Formationen auf dunkler Straße zu erhalten, oder ich bemalte den Windbaum in einem der grünen Parks in London. Die neueste Exponierungsmethode erprobte ich auf den Kanälen in Berlin und Amsterdam, wo ich ausschnitthafte Szenerien als ‚living-pictures' auf einer 10 Meter langen Plattform an den zufälligen Passanten vorbeischwimmen ließ. Angetrieben habe ich das Floß mit einer kleinen Schiffsschraube durch ein Fahrradpedalsystem. Wir erreichten eine Geschwindigkeit von fünfhundert Metern pro Stunde! Als nächstes, längerfristiges Projekt plane ich, dreidimensionale Zeichnungen über ausgewählte Orte schweben zu lassen."

Frage: "Warum arbeitest Du in solch unkonventioneller Weise, reicht Dir Malerei und Skulptur als Ausdrucksmöglichkeit nicht aus?"

Hasucha: "Was ich beschrieben habe, hat ja wohl ebenfalls weite Ausdrucksmöglichkeiten! Mir reicht Malerei und Skulptur insofern nicht aus, als sie möglicherweise nur noch Variationen von schon Erfundenem zulassen. Ich werde auch den Verdacht nicht los, dass traditionelle Medien oft benutzt werden, um den konventionellen Warencharakter der Kunstwerke zu erhalten. Dieser Warencharakter bestimmt dann auch deren formale, wenn nicht sogar ästhetische Beschaffenheit. Sachen, die mit ungewöhnlichem Material hergestellt wurden oder die eine ungewöhnliche und unbequeme Präsentation verlangen, können schlechter verkauft und seltener gezeigt werden. Ich meine, dies ist seit jeher das Problem der Händler, nicht das der Grenzgänger der Kunst. Ich sehe mein Arbeitsfeld eher in der Erforschung ungewöhnlicher Darstellungsformen als im Produzieren von künstlerischer Ware."

Frage: "Du verwendest oft Gebrauchsgegenstände. Was hältst Du vom Duchamp'schen Modell?"

Hasucha: "Du kommst ohne Umschweife auf ein künstlerisches Modell, dem ich mich im Laufe meiner Entwicklung stark annäherte und das ich sehr interessant fand. Die Problematik der Aneignung von Wirklichkeit ist ja von den ‚ready-mades' Duchamps exemplarisch aufgezeigt worden. Er ließ echte, nicht imitierende Objekte aus der Realität sich selbst darstellen. Für einige Leute mag das provokatorisch gewesen sein. Ich kann die provokatorische Brisanz von damals nicht abschätzen. Provokation interessiert mich auch bei den heutigen künstlerischen Erzeugnissen nur am Rande, wenn es nur ein Gegenentwurf zur aktuellen, herrschenden Meinung ist, die innerhalb kurzer Zeit umschwenken kann und dann ist der Gegenentwurf Konvention und damit uninteressant. Viel interessanter fand ich, dass Duchamp, als er das Urinoir zum Kunstwerk erklärte, es damit in ein wirklichkeitsgetreues Abbild seiner selbst verwandelte."

Frage: "Das Erklären eines Gegenstandes zum Kunstwerk genügt Dir?"

Hasucha: "Nicht unbedingt. Die Verweismöglichkeit von Realität auf sich selbst lässt sich auch durch eine bestimmte Art der Präsentation, zum Beispiel durch Platzierung in einem Museum, bewusst machen, allerdings schon mit einem einzigen Objekt, jedes weitere so präsentierte Objekt hat die gleiche Aussage. Die Art der Präsentation trägt entscheidend dazu bei, welche Atmosphäre ein Objekt verbreitet, was scheinbar viele Museumsleute unterschätzen. Ob der ‚Flaschentrockner' nun auf einem schlichten weißen Quader steht oder auf einem Parkettpodest, von Schiffstau umgrenzt, wird wohl langsam auch dem Ungeübtesten als unterschiedlich wirkend auffallen. Eigentlich müsste für eine optimale Präsentation der Objekte Duchamps die von ihm autorisierte Ausstellungssituation nachgebaut werden. Der Unterschied zum Denken Duchamps lässt sich vielleicht bei meiner Arbeit mit einem Environment illustrieren, das ich vor ein paar Jahren in einem Keller in Berlin-Kreuzberg zeigte: das vorgefundene Gerümpel, ein Sofa, Stühle, eine Milchkanne und so weiter, zerschnitt ich diagonal und füllte die Hohlräume der Restobjekte mit Gips auf. Ich akzeptierte also nicht die bloße Selbstdarstellung der Gegenstände innerhalb einer bestimmten Situation, sondern markierte sie auch, veränderte sie in einer meiner Vorstellung entsprechenden Weise und raubte ihnen damit einen Teil ihrer Authentizität. Mein Eingriff ließ also meine Vorstellungswelt in die ‚reale' Welt des Kellers einbrechen."

In seinen besten Momenten ist Hasucha ein subtiler Marsmensch, der eine Landschaft oder eine triviale Umgebung mit einem bemerkenswerten und aufregenden Sinn für Verfremdungen infundieren kann. Ohne diese Verfremdung kann eine solch selbstbewusste Skulptur jedoch keine Bedeutung erlangen. Falls der Warenaspekt eines Kunstwerks wirklich das ist, was Malerei und traditionelle Skulptur weiter bestehen lässt, dann frage ich mich, warum das Gegenteil unwahr sein soll. Die Sonette meines schwäbischen Freundes Heiner Thiel zum Beispiel hat noch kein Verlag aufgegriffen. Dabei hat jedes vierzehn Zeilen und alle reimen sich prima.. -