Ute Tischler

(Text aus dem Katalog:
Stadt-Landschaft-Fluss
Hrsg.:Neuen Aschaffenburger Kunstverein, 2001)




CHRISTIAN HASUCHA

Transfer. Kreuzberg-Aschaffenburg



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In den 90er Jahren hat sich der urbane Raum zu einem grundlegenden Handlungsfeld für Kunst entwickelt. Der öffentliche Raum als Produktionsumgebung und Präsentationsoberfläche erweitert die funktionale Relevanz von Kunst und sichert scheinbar deren Rezeption.
Wer wie Christian Hasucha die Rekonstruktion von öffentlichem Raum betreibt, rechnet mit kunstexternen Reibungsflächen und den Herausforderungen einer neuen Öffentlichkeit. Rezeptionsweisen im Stadtraum funktionieren anders als die innerhalb des white cube, weil stadträumliche Einbettungen und die daran gebundene flaneurhafte Wahrnehmung inhaltliche Konzentrate zerstreuen.

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Mittlerweile gibt es kaum noch Ausstellungen ohne Bezug zum städtischen Raum.
Die zunehmende Kulturalisierung von Stadtraum hat den öffentlichen Raum institutionalisiert und sichtbar privatisiert. Der einverleibte Raum wird durch ästhetische Praktiken reguliert und letztlich auch reglementiert. Indem sich künstlerische Produktionsformen zunehmend an funktionsbasierten Bereichen orientieren, verwischen sich auch Unterscheidungen zwischen alltäglichen Orten und künstlerischen Repräsentationsräumen.
In Interventionen wie System B (1990, Köln) Public Diary (1993, St. Petersburg) oder Ebene Tisch (1993, Langenhagen) entwirft Christian Hasucha Gegenmodelle zur Wahrnehmung von öffentlichem Raum. Blickschleusen, Plattformen, Anweisungen etc. kanaIisieren Sehweisen und urbanes Verhalten nach den Vorgaben des Künstlers.

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Öffentliche Interventionen aktivieren die sozialräumliche Wahrnehmung. Mit zeitlich limitiertem Anspruch wird in die städtische Organisation eingegriffen und der Blick auf die vertraute Umgebung irritiert. Durch Ein-und Ausschlussverfahren von stadträumlichen und sozialen Gegebenheiten sowie von ästhetischen Kriterien wird öffentlicher Raum zum Handlungs- und Erlebnisraum.
³Der öffentliche Raum ist für Christian Hasucha dementsprechend kein architektonisches, städtebauliches Phänomen allein, sondern ein Gefüge von diversen Praktiken und Gewohnheiten, Automatismen, in jedem Fall ein Netz von Ereignissen und Handlungen, die gezielt oder quasi unbewusst vollzogen werden - ein psychogeografisches System." (Reinhard Braun. Christian Hasucha, Interventionen, Ereignisse, Implantate, Attributives, Dortmunder Kunstverein, 1990-1994, S. 36)

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Site-spezific und public art setzen auf eine Re-Sozialisierung von Kunst.
Als Grundstruktur dieser kontextbezogenen Produktionsformen können repräsentationskritische Haltungen gelten, an die Perspektivwechsel und Neuigkeitseffekte geknüpft sind. Davon leiten sich Öffentlichkeitsmodelle ab, von denen Stadtkunstprojekte zunehmend profitieren.
Günters Fenster", 2000 in der Mühlheimer Medienpassage entstand auf Einladung der Stadt. Das aufwendige lmplantat rief eine mediale Resonanz hervor, die das beabsichtigte ³konstruktive Befremden" (Christian Hasucha) in sensationsheischendes Begehren verwandelte.

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Aufgrund ihrer erweiterten Öffentlichkeitswirksamkeit fungieren Stadtkunstprojekte als Marketingsinstrument. Intervenierende Maßnahmen, schließen ob ihres provokativen Gehalts Kommunikations- und darüber hinaus auch Sensationslust ein.
³Als Gegenbild zur vorherrschenden Disneylandisierung der Kunst ist die Intervention in den von mir praktizierten Formen nach wie vor aktuell. Umfassend ästhetisch wahrnehmbar, unmittelbar erfahrbar ist sie in ihren facettenreichen Erscheinungsformen aber nur von zufällig Betroffenen, Anwohnern oder Beteiligten." (Christian Hasucha: Die Pulheimer Rochade und andere Interventionen, Kulturamt der Stadt Pulheim, 1999, S. 35)

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Den Stadtraum als Display für Informationen zu nutzen, die jenseits von Imagetransfer und Spektakulärem liegen, hieße, sich einer spezifischen Öffentlichkeitsproduktion zu verweigern. Öffentliche Interventionen außerhalb dieser Mechanismen, das heißt jenseits des vorgegebenen Projektrahmens, können folgerichtig nicht als künstlerische Beiträge rezipiert werden. Die Kontextverschiebung zwischen Kunst und Öffentlichkeit findet umgekehrt statt.
Der Transfer zwischen Kreuzberg und Aschaffenburg findet sechs Wochen lang an zehn Laternenmasten statt. Unangekündigt werden in der Aschaffenburger Innenstadt private Annoncen und Werbezettel aus Berlin Kreuzberg auf duplizierte Objektträger angebracht. Transformiert wird hier ein halböffentliches Informationssystem wie es in großen Städten gebräuchlich ist. Im kleinstädtischen Kontext werden die Notizen aus dem großstädtischen Alltag mit Bedeutungen aufgeladen, die jenseits von kulturellen und politischen Konnotationen mögliche Wirklichkeitsformen vermitteln. Der öffentliche Umgang mit Informationen, deren Format und Verteilung erweist sich am fremden Ort als kommunikatives Missverständnis oder anders gesagt als Kunst.