Dr. Johannes Stahl
DIE OFFENHEIT DER MECHANISMEN
Zur Kunst von Christian Hasucha

 

In den 1990er Jahren verteilte ein Tabakkonzern (natürlich im Austausch gegen die üblichen Leistungen) Sonnenschirme mit dem Aufdruck "Come together". Was zunächst nach einer lockeren und offenen Aufforderung aussah, sich im wohltuenden Schatten der freundlichen Schirme zu treffen, erwies sich bei genauerer Betrachtung als ein sehr genau kalkulierter Versuch. Gerade Raucher sollten mit dem Attribut ausgestattet werden, das man gesamtgesellschaftlich schwinden sah: die Integrationsfähigkeit und Offenheit sozial kompetenter Menschen. Die etwas bittere Ironie der Geschichtsläufe will es, dass eben diese Raucher sich nach der heutigen Gesetzgebung als Quasi-Randgruppe vor Restauranttüren, auf Toiletten oder an noch abgeschotteteren Orten treffen müssen.

 

Es ist wohl kein Zufall, dass in genau dieser Zeit Christian Hasucha wiederholt sein Projekt der "Begegnungen" inszenierte. Eingebunden in von Phase zu Phase wechselnde Rahmenbedingungen stand als Konstante jeweils die Begegnung zweier Menschen im Mittelpunkt, die einander vorher noch nicht kannten. Nach einer Art Lotteriesystem zusammengelost, traf man sich an individuell bestimmten Orten und ohne weitere feste Regie. Die gestalterische Rolle des Künstlers bestand weitgehend darin, den grundsätzlichen Rahmen festzulegen und eine Art Controlling aufzubauen. Postkarten dienten als Verabredungsvehikel und gaben anschließend, an den Künstler gesendet, Aufschluss darüber, ob dieses Treffen wirklich stattgefunden hat. Hasucha verzeichnete den Vollzug dieses Konzept seinerseits in einem großformatigen Stadtplan und durch Anbringung unauffälliger Erinnerungsplaketten an den jeweiligen Orten. Wie ein stiller Kraftstoff treibt das Projekt die Wahrnehmung in die Richtung sozialer Fragen, die genauso schwer zu beantworten wie selbst wandelbar sind. Hasucha bietet hier auch keine Moral an, die sich auf dem Niveau des "come together" erschöpft. Im Gegenteil, die Interaktion zwischen den Rendezvouspartnern findet eher privat statt. Sie wird unterschiedlichste Regeln entwickeln und gesamtgesellschaftlich kaum statistisch auffällig werden. Gerade darin aber ist sie ein deutlich experimentelleres und daher ehrlicheres Bild von menschlichem Miteinander.

 

Es ist eine gewichtige Frage wert, ob sich Kunst generell im Markieren solcher Gravitationsfelder schon genügen soll, und die Antworten divergieren ja nach künstlerischem Anspruch und sozialer Bildung. Hasuchas Arbeiten beantworten diese Frage ganz klar mit einem Nein. Ihn interessiert nicht grundlos die formale Seite solcher Bereiche. Die Orte, an denen sich Treffen vollziehen, die Maße vor Ort, aus denen sich die Blickwinkel ergeben, die Zeitdauer, die ein Prozess sich nehmen darf: diese Faktoren sind viel zu wichtig, um sie aus dem Blick zu lassen. Gerade am räumlichen Denken lässt sich vieles festmachen, was im sozialen Bereich offen bleiben muss. Daher besteht der Künstler auf einer genauen Beschreibung des Orts, wo diese Treffen stattgefunden haben. Schließlich nimmt er sie selbst in Augenschein. "Alle Maße sind vor Ort zu prüfen" – dieser Stempel steht als Verpflichtung für die den Bau ausführenden Bauleute und Architekten auf jedem Bauplan. In der Interaktion, die Hasucha mit seinen Mit-Machern aufbaut, ist er gleichermaßen Architekt wie schlussendlich auch ausführender und rekonstruierender Dokumentarist. Den aktiveren Part überlässt er dem Publikum, und gleichzeitig bleibt dieser soziale und gestalterische Freiraum auch ohne Kontrolle durch den Künstler. Er fragt sehr genau, wo es war, aber mit guten Gründen kaum, was sozial während des Treffens stattgefunden hat.

 

In der "Interventionen" benannten Werkreihe agiert Hasucha bevorzugt in solchen Bereichen des öffentlichen Raums, an denen sorgfältige Gestaltung gerade nicht im Vordergrund steht. Wenn er zwei Bodenpflasterungen samt Begrenzungszaun in Pulheim vertauscht ("Pulheimer Rochade", 1999), wirft das nicht nur ein Licht auf die Gestaltung von 25 Quadratmeter innerstädtischen Raums, sondern auch auf die menschlichen und sozialen Vorgänge, die im Hintergrund einer solchen materiellen Interaktion stehen. Die einen 25 qm sind auf dem Parkplatz einer Realschule, die eher am Rand der Stadt steht, die anderen befinden sich gewissermaßen im Wohnzimmer der Stadt, vor der recht prächtigen Benediktinerabtei. Dass ein solcher Prozess in einer kleinen Stadt Staub aufwirbelt, macht gerade vor diesem sozialen Hintergrund Sinn. Er verknüpft nämlich die grundsätzliche Frage nach dem Charakter heutiger Kunstkonzepte mit der Strategie der sozialen Einmischung in gesellschaftliche Austauschprozesse. Da ist eine - auch öffentliche - Auseinandersetzung vorprogrammiert, denn diese Kunst entwickelt eine sehr direkte Zeitgenossenschaft. Die in der gleichen Gemeinde stattfindenden regelmäßigen künstlerischen Eingriffe in die ehemalige Synagoge haben wesentlich weniger publizistischen Gegenwind.

 

Noch immer könnte es an dieser Stelle scheinen, dass Christian Hasuchas Kunst ausschließlich eine gedankenverhangene, sozialen Konzepten verbundene Feldforschung ist. Damit wäre aber die Lust unterschätzt, die der Berliner Künstler am Machen hat. Auch wenn die oft größeren Konzeptionen arbeitsteilige Werkprozesse mit sich bringen: Hasucha hat nicht grundlos einen Werkstattwagen, der als nahezu vorbildliches mobiles Atelier ausgestattet ist. Gerade das Agieren vor Ort benötigt eigene, dem künstlerischen Konzept angepasste Lösungen, und preiswerter wird es auch oft, wenn der Künstler vom Schweißen über die Kommunikationsarbeit bis zum Drucken alles selbst kann.

 

Vgl. Projektdokumentation Nr. 24 Begegnungen