MATTHIAS SCHAMP

"Der 9. April am rechten Fuß des Matthias S.", Pressemitteilung Essen 1994

Eine Intervention von Christian Hasucha, Essen 1994

Mittels eines um die Hüfte geschnallten Behälters mit grauer Farbe und eines damit über einen Schlauch verbundenen Spazierstocks (Printstick), an dessen unterem Ende ein Stempelkissen eingelassen ist, wurden am 9. April1994 sämtliche Wege, die eine Person (Matthias S.) an diesem Tag im öffentlichen Raum zurücklegte, auf den Straßen der Stadt Essen als gepunktete Spur markiert.



Einige Tage später wurden entlang dieser Strecken an Laternenpfählen, Bäumen etc. - also an all jenen Orten, die als Träger einer privaten, inoffiziellen, aber an die Öffentlichkeit gerichteten Information Verwendung finden ("Katze entlaufen!" etc.) -mittels Reißzwecken und Klebestreifen Zettel angebracht, welche die Passanten durch eine kurze Beschreibung der Aktion über die Herkunft der grauen Punkte aufklären.



Insgesamt handelt es sich dabei um sehr diskrete Eingriffe, die zuallererst einmal nur eine kleine Irritation erzeugen sollen, welche aber plötzlich zu einer Intensivierung der Wahrnehmung des öffentlichen Raumes als Sphäre eines großen, lebendigen Funktionszusammenhanges anzuwachsen vermag. Zum einen wird dies durch eine Sensibilisierung für die Oberflächenphänomene des Straßenbildes bewirkt, die von einem allover der unterschiedlichsten Grapheme überzogen ist (festgetretene Kaugummis, Vogelkot usw., welche allesamt dazu geeignet sind, Zeugnis abzulegen von dem komplexen System ineinandergreifender Lebensprozesse, das einen jeden umgibt (und an dem jeder beteiligt ist).
Zum anderen ist es das Exemplarische der gepunkteten Spur, das es den Passanten gestattet, sich nach Belieben in Relation dazu zu setzen. Der Spaziergang, der Weg zur Telefonzelle, zum Altglascontainer, das Hundeausführen, der Gang zum Einkaufen, zur Arbeit usw., all diese von zahllosen Menschen zurückgelegten Strecken mögen sich für eine Weile überlappen mit jener gepunkteten Spur, die ja auch nur irgendeinen solchen Gang einer zwar konkreten, aber nur als Exempel dienenden Person manifestiert. Sie mögen eine Zeitlang der Spur folgen, vielleicht plötzlich davon abweichen, um vielleicht später an anderer Stelle erneut darauf zu stoßen...

So kann das Projekt dazu beitragen, daß Bewußtsein dafür zu schärfen, daß der öffentliche Raum eben keine an sich nichtssagende Sphäre ist, die man durchquert, um von einem Punkt A zu einem Punkt B zu kommen. Die exemplarisch durchmessene Strecke taugt dazu, diese Erfahrung freizusetzen.

Einige der Hinweiszettel, die zum Teil binnen kürzester Zeit abgerissen wurden, werden in den kommenden Wochen erneuert. Insgesamt ist das Projekt als temporäre Besetzung des öffentlichen Raumes angelegt. In circa zwei Monaten werden die Flecken durch Witterungseinflüsse und Abrieb verschwunden sein. Dies entspricht Hasuchas Verfahrensweise, wie er sie schon in zahlreichen Städten durch derartige Projekte (u.a. in St. Petersburg und in Graz) demonstriert hat, indem er vermeidet, daß sich seine öffentlichen Interventionen durch allzu langen Verbleib in die Sehgewohnheiten einschleifen- und damit die von Ihnen erzeugte Beunruhigung verlorengeht.

Büro für syntaktische Konfusion




Vgl. Projektdokumentation Nr. 19 Der 9. April am Fuß