Jürgen Raap

(Monographie:
Implantate und Interventionen
Kunstforum International Bd. 116, S. 330ff, Verlag Kunstforum, Ruppichteroth, 1991




JÜRGEN RAAP ÜBER DEN BILDHAUER CHRISTIAN HASUCHA



Plastische Arbeiten im öffentlichen Stadtraum verwirklichen zu wollen, bedeutet zunächst einmal Überwindung bürokratischer Hindernisse. Die Installation eines vom Publikum besteigbaren Gerüsts an einer Straßenlaterne lehnten die örtlichen Elektrizitätswerke ab, und als Christian Hasucha sich daraufhin als Alternative um einen Flaggenmast auf dem Vorplatz der Kölner Uni bemühte, ließ sich der Rektor vom Innenministerium erst einmal die Bundesfahnenordnung erläutern. Ergebnis: Der für Schwarz-Rot-Gold reservierte Mast ist grundsätzlich tabu, gegen künstlerische Aktivitäten an den Stangen für Landes- und Stadtflaggen war hingegen nichts einzuwenden.

Nur ein Besucher pro Tag bekam nach Voranmeldung den Code für das Zahlenschloß am Schutzgitter mitgeteilt; Hasucha wollte damit das Gefühl der Vereinzelung im Großstadtgetriebe verstärken, wenn sich jemand ohne den Schutz durch Begleitung in den Abendstunden allein in einer dann menschenleeren Gegend inmitten von monotonen Sichtbetongebäuden und in spärlicher Beleuchtung der Situation aussetzt. Auf der Leiter stehend und sich mit einer Hand an der Sprosse festhaltend, erforderte schon das Öffnen des Schlosses mit der anderen Hand eine gewisse Geschicklichkeit, auch das weitere Erklettern der fünf Meter hohen Plattform war für unsportliche Naturen (wie mich) ein eigenartiges physisches Erlebnis.

Aus einem Lautsprecher erklang per Endlostonband mit großen Intervallpausen Trommelmusik des Komponisten Yves-Miro Magloire, die sich mit den Alltagsgeräuschen der Umgebung mischte, vorwiegend Autolärm. Das Konzept dieser "attributiven Plastik" mit dem Titel "Über die Stadt" (1991): Unterbrechungen in der Musik sollten das Ohr des Publikums für die "normalen" Geräusche im Umfeld sensibilisieren.

Akustik als Lockeffekt setzte Hasucha auch in der Aktion "Passagen" (1985) auf dem Berliner Landwehrkanal ein, als auf einer schwimmenden Plattform ein achtköpfiger A-capella-Chor Ruderkommandos intonierte. Die gängige Wahrnehmung von Wassersportlern, Joggern oder Radfahrern bei einem Spaziergang im Grünen wurde bei dieser Performance künstlich zusammengeballt.

Die Verdichtung einer urbanen Situation durch künstlerische Eingriffe erfolgt bei Hasucha in der Regel jedoch so unprätentiös, daß die vorhandene Alltäglichkeit zu einem großen Teil ihre Authentizität behält. Den Aufführungen des New Yorker "squat-theatres" um 1980 steht Hasucha somit näher als den Bildhauerkollegen, die mit Skulpturen auf öffentlichen Plätzen stadtplanerische Fehlleistungen nachträglich korrigieren oder zumindest kaschieren sollen. Allerdings liegt in Hasuchas Vorgehensweise keine Akzeptanz der "bloßen Selbstdarstellung der Gegenstände innerhalb einer bestimmten Situation", diese Gegenstände werden "markiert" und "in einer meiner Vorstellung entsprechenden Weise" verändert.

Die Mittel dazu sind nicht nur skulpturaler, sondern auch theatralischer Natur. Der Bildhauer schlüpft in die Rolle eines Regisseurs, Akteure werden wie Schauspieler zur Inszenierung eines "living pictures" herangezogen. Beim Projekt "Herr Individual geht" (Berlin/Budapest 1989) war in die Oberfläche eines Betonsockels ein Fließband eingelassen, auf dem entgegen der Laufrichtung jemand nach genauer Anweisung auf der Stelle trat. Das mochte auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, es gelte, ein Standbild in Bewegung zu versetzen, doch die massive Feuerschutztür am Eingang zum Hohlraum im Sockelinneren ließ letztlich eher die Assoziation eines Transformatorenhäuschens als die eines Denkmalssockels zu.

Für das "11. Stadtimplantat" zur "optischen Markierung urbaner Zeitpunkte" (Köln 1989) engagierte Hasucha den Künstlerkollegen Hans-Jörg Tauchert, der an einer belebten Straßenkreuzung in einer Baulücke auf einem Turmgerüst saß und nach eigenem Ermessen, d.h. zu "subjektiven Augenblicken", hin und wieder das Wort "Jetzt" aufleuchten ließ.

Mit den bühnenhaften Elementen eines solchen Arrangements bekommt durch eine Hinzufügung die reale Umgebung des Straßenraumes den Charakter einer Modellsituation. Der Abbruch der Aktion bedeutet dann die Wiederherstellung der städtischen Grundstruktur.

Die Ursprünge dieses Konzepts liegen in Arbeiten der frühen achtziger Jahre, als Christian Hasucha Wasserpfützen manipulierte. An schadhaftem Straßenbelag erweiterte er die Schlaglöcher durch Abklopfen oder Erhitzen des Teers, füllte Wasser hinzu und erreichte so eine Formveränderung im Umriß des Pfützenlochs. Nach einigen Tagen war diese Form aber nur nach Regen sichtbar. Diese "Installationen" als Spiel mit der Nebensächlichkeit erfolgten genauso kommentarlos wie die eben beschriebenen späteren Aktionen. Das Publikum wird mit seinen Bedürfnissen nach Erklärung allein gelassen, Hasucha schärfte den "Herr Individual"- und "Jetzt"-Akteuren ein, auf gar keinen Fall auf die Frage "Was machen Sie eigentlich da?" zu reagieren. Daß derlei Eingriffe, die vom Produzenten als Störung angelegt sind, dann vom Rezipienten auch als solche empfunden werden, ist einsichtig. Hasuchas Auffassung von künstlerischen Wirkungsabsichten zielt nicht auf ein gemeinschaftsstiftendes Erlebnis, er pocht sogar auf die informative Trennung zwischen ahnungslosen Zufallspassanten und den "eingeweihten" Darstellern, zu denen dann auch die Besucher gehören, die sich zur Gerüstbesteigung am Uni-Vorplatz angemeldet hatten: "Ich mache einen Vorschlag, auf den andere kommunikativ reagieren können, indem sie ihre Erfahrungen mitteilen. Darin liegt eine Chance zur Selbstreflexion und zur Überprüfung gelenkter Wahrnehmung."

Kunstpsychologen treffen hier in der Tat auf ein breites Spektrum von Verhaltensmöglichkeiten. So wiesen die Anwohner sich gegenseitig auf minimale Veränderungen hin: Dem einen war aufgefallen, daß Herr Individual täglich das Hemd gewechselt hatte, der andere stellte fest, daß die zusammengefaltete Zeitung unter dem Arm anderntags fehlte. Das Aufblinken von "Jetzt" hielten Autofahrer für eine Radarkontrolle, andere für die Ankündigung eines Selbstmordes - mehrmals rückte die Polizei an im Glauben, da wolle sich einer vom Gerüst stürzen.

Nun ist es bei allen erwähnten Projekten die Exponierung des Geschehens durch Sockel und Turmgerüste, die eine Verschmelzung mit dem Gewohnten, "was sonst hier passiert", verhindert und höchst befremdlich wirkt, sie löst sogar wie in der Selbstmord-Interpretation ein offenkundiges oder auch nur untergründiges Gefühl der Bedrohlichkeit aus. Hasuchas "öffentliche Interventionen" haben somit subversiven Charakter: Gesetzmäßigkeiten und Konventionen werden verdeutlicht, Funktionen labilisiert. Darin liegt jedoch keine gewollte Provokation, denn diesen Arbeiten geht kein ablehnendes Werturteil über angebliche Häßlichkeit des Stadtraumes oder über anscheinende Unsinnigkeit von Bewegungsabläufen, über die Mangelhaftigkeit einer selektiven Wahrnehmung etc. voraus. Als Fremdkörper in bestehenden Strukturen erlauben sich diese Installationen lediglich in höchst subtiler Weise Hinweise auf die "potentielle Möglichkeit einer Verkettung von Umständen".

Konzeptuelles Pendant zu jenem Gerüst, das immer nur eine Person betreten konnte, um "über die Stadt" zu schauen, waren um 1982/83 stereoskopische Apparate, die Hasucha an den Masten von Verkehrsschildern und Laternen anbrachte. Sie boten ebenfalls nur einem einzigen Betrachter beim Hinein- schauen den Blick auf zwei Dias, die verfremdet genau das abbildeten, was an jenem Ort auch mit bloßem Auge an Baulichkeiten, Plakaten, Ampeln etc. zu sehen war. Durch die fotografiche Konservierung der Szenerie bekam auch diese einen Modellcharakter zugewiesen, der zeitgleich mit der Realsituation verglichen werden konnte. Im "Einfrieren" bzw. Festhalten von Zeit präsentierten sich Sequenzen aus der Banalität als Sujets, deren Flüchtigkeit und Beiläufigkeit ins Gegenteil verkehrt waren.

Orte werden gekennzeichnet. Auf dem Platz vor dem Kölner Hauptbahnhof (Aktion "System B", 1990) brachte Hasucha 40 kleine Markierungen wie auf dem Boden einer Theaterbühne an, zwischen denen sich 20 Akteure zwei Stunden lang zwecks "Harmonisierung der Passantenströme" nach den Prinzipien einer choreographischen Dramaturgie bewegten. Die Lokalpresse registrierte, daß dem Kunsttheoretiker Dietrich Sauerbier als Mit-Akteur "vorsätzliche Kollisionen mit harmlosen Passanten eine wahre Freude waren".

Markierungen auf dem Straßenpflaster oder als Grenzen von Spielfeldern im Sport bedeuten immer dirigistische Verordnungen, ihnen wird eine generelle Gültigkeit zugewiesen, Verstöße dagegen werden geahndet. Auch das Tier, das durch Hinterlassen von Duftmarken sein Revier absteckt, versucht sich damit einen Herrschaftsraum zu sichern. Das anonyme Graffito bricht anarchistisch in bestehende Verfügungsgewalten ("Plakatieren verboten!") ein und besetzt damit Bildräume einer symbolischen Gegenherrschaft. Mit der sozialen Dimension der Graffiti- Kunst haben Hasuchas Projekte denn auch weitaus mehr zu tun als mit den Methoden einer Bildhauerei, die den Widerspruch zwischen überlieferter akademischer Zweckfreiheit und "Ortsbezogenheit" aufzulösen trachtet.

Statt der Konventionalität des Umgangs mit Kunst, die sich im Museum als gesellschaftlich abgesicherter bzw. legitimierter Institution auch bei ästhetisch und didaktisch ungewöhnlichen Präsentationsformen zwangsläufig einstellt, setzt Hasucha auf die Korrespondenz mit tektonischer und atmosphärischer Umgebung im Sinne des "Environment"-Begriffs. Als "künstlerisches Implantat" bezeichnet er "einen in eine meist kunstfremde Umgebung eingepflanzten Fremdkörper". Diese "Kombination von Realitätsfragment und Umgebung" ist "wegen der vor Ort erzielten Wirkung weder direkt übertragbar noch konservierbar". Das Aufzeigen von Strukturzusammenhängen findet daher auch nicht auf einer abstrakten Ebene, sondern in der Koppelung an unmittelbare sinnliche Erfahrung statt. Indem das Duchampsche Ready-made als Kunstwerk verstanden wird, begreife der Rezipient im Museum den Flaschentrockner nicht mehr als solchen, sondern als ikonisches Abbild von einem Original, meint Hasucha. "Unbearbeitete Realitätsfragmente" könnten bei auffälliger Plazierung im Stadtraum diesen abbildhaften Charakter verlieren, während das "Einpflanzen eines traditionell hergestellten Kunstobjekts" ins urbane Environment nicht zu einer Verschmelzung von Implantat und Umgebung führe. Das Andersartige bleibt tatsächlich immer spürbar und löst Irritationen aus. Bei aller Beiläufigkeit und Koketterie mit dem Unscheinbaren findet dennoch eine Zuspitzung in einem Zentrum des Geschehens statt, so daß das Implantat nicht bloß prothetische Funktion hat. Gleichzeitig ist es aber niemals so dominierend, daß die Umgebung dadurch beliebig und somit bedeutungslos wird.

Solche Stadt-Implantate sind statisch, sie bleiben an das Dingliche eines Objekts und an seine Form gekoppelt wie die Plastik "ZuHause", die Hasucha 1989 auf dem Kölner Friesenplatz als zweistöckiges Häuschen aufstellte, dessen unterer Teil begehbar war. Bei den "öffentlichen Interventionen" indessen treten die dinglichen Aspekte zurück, hier greifen Hasucha und seine Akteure in die Geschehnisabläufe des Alltags ein, inszenieren und provozieren Ereignisse; es handelt sich dabei um reine Prozeßkunst. Hinsichtlich der einsetzbaren Medien und Materialien und der Ortswahl gibt es theoretisch keinerlei Beschränkung, doch meidet Hasucha repräsentative Plätze und Flanierboulevards mit den zirzensischen Darbietungen von Straßenmusikanten und Jongleuren inmitten touristischen Getümmels. Mit "System B" intervenierte die Hasucha-Truppe daher nicht in der Fußgängerzone, sondern dort, wo jeder normalerweise das Bahnhofsareal möglichst schnell Richtung Taxistand, U-Bahn oder Parkhaus zu verlassen trachtet. Dies garantierte ein ambivalentes und subtiles Beschreiten anderer, unfunktioneller Bahnen. Die Präzision der Inszenierung und die inhärenten Abläufe zwischen den Akteuren haben einen Eigenwert, der sich völlig unabhängig von der Publikumswirksamkeit ergibt.

Während das Stadt-Implantat "kein indifferentes Verhältnis zu seiner Umgebung" hat, findet bei der "attributiven Plastik" die künstlerische Einwirkung "hauptsächlich am bearbeiteten Objekt statt; die weitere Umgebung braucht nicht beachtet zu werden". Kommt es bei den Implantaten auf den "Modus der Kombination" an, so betont Hasucha bei den attributiven Arbeiten das dialogische Moment, diese Projekte sind weniger raum-, vielmehr situationsbezogen: "Als attributive Plastik bezeichne ich den skulpturalen Eingriff oder die Hinzufügung von plastischen Erscheinungsformen in exemplarisch ausgewählte Situationen."

Zielt das Implantat oder auch Transplantat im medizinisch-biologischen Bereich auf Funktionserhaltung, so bedeutet die additive Hinzufügung mathematisch eine Veränderung von Werten und Funktionen. Hasucha verändert die Gleichungen, nach denen in urbanen Strukturen Regelkreise ineinandergeschaltet sind; er verschiebt somit im übertragenen Sinne Stellenwerte innerhalb eines Koordinatensystems von Wahrnehmung und Bewegung mit den ihnen zugrundeliegenden Bedürfnissen und Notwendigkeiten. Dies ist letztlich sehr irrationalistisch, auch wenn allein durch sicherheitstechnische Auflagen diese Plastiken "praktisch" angelegt sind. So ließ Hasucha dem Kölner Uni-Rektor durch ein Ingenieurbüro vorrechnen, daß das Flaggenmastgerüst samt Körpergewicht des Besuchers auf der Plattform nicht schwerer sei als das große Fahnentuch, das sonst dort zu bestimmten Anlässen flattert.

Es geht grundsätzlich nicht um die Poetisierung, um die Verschönerung der Großstadt. Die theoretischen Ansätze in diesen Arbeiten wären prinzipiell wohl auch auf Land-art-Konzepte übertragbar. Freilich konzentriert sich das Interesse nicht auf die Bearbeitung von Topographischem und Topologischem, dem zunächst einmal mit einer gewissen Ehrfurcht zu begegnen wäre, sondern auf das Bekenntnis zu Maschinellem: Akustische Apparaturen und ampelartige Geräte wie bei der "Jetzt"-Aktion sind durchaus Mittel der Eroberung - Markierung, wie eben beschrieben, ist immer eine Form von Aneignung.