Prof. Ulrich Puritz
Universität Greifswald

Kunst heute - Nachbetrachtungen zur Seminarsitzung vom 8.4.04

Christian Hasucha: arbeitet vorwiegend mit dem Raum. Er ist ihm Bühne, Materiallieferant, Analysegegenstand, Thema, Aktionsfeld und "Bild" zugleich. Der Betrachter steht "im Bild". Dieses Bild gibt ihm zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu tun und zu denken. Er muss sich darin bewegen, stellen und positionieren. In jedem Fall muss er es realisieren. Er vollendet die Arbeit mittels Betrachtung und Reflexionen auf seine Weise.

Meist thematisiert Christian Hasucha den Raum als sozialen Sachverhalt und Ausschnitt übergreifender soziokultureller, ästhetischer und philosophischer Zusammenhänge. Die Interventionen (Implantate) erzeugen poetische Brüche inmitten bekannter unspektakulärer alltäglicher Situationen und machen sichtbar, was im Verborgenen anwesend ist, was der alltagsstumpfe Blick jedoch auszublenden geneigt ist. Insofern attackieren sie Wahrnehmungskonventionen und alltägliche Verhaltensmuster und weiten den Blick.

Seine Poesie tritt dem Betrachter in trockener, spröder, sachlicher "Mach-Art" entgegen. Sie schließt Expressivität und Pathos aus und transportiert die Klarheit des Konzeptes. Letzteres erzeugt bei aller Klarheit keine klaren Botschaften, die sich wie eine Nachricht "lesen" und verbrauchen lassen. Es führt in offene Reflexionsfelder, die unabgeschlossen bleiben, weshalb ich sie als Poesie beschreibe.

Hasucha arbeitet konzeptuell (er folgt einem analytischen Konzept) und kontextuell (Kontext bezogen, der Raum wird als ästhetische Konfiguration sowie in seinen Gebrauchsformen als "Text" gelesen, interpretiert und "aufgeschlossen"). Zur seinem Konzept gehört, dass seine Kunst "zum Betrachter" geht, sich nicht auf Galerien als Öffentlichkeits- und Diskursform bezieht, sondern Alltagsräume mit künstlerischen Mitteln hinsichtlich ihrer "Grundierungen" auf überraschende Weise thematisiert.

Die Arbeiten sind orts- und zeitgebunden ("in situ"). Um sie darüber hinaus wirksam bleiben zu lassen, bedarf es der Dokumentation. Mittels Text, Zeichnung und Fotografie erhalten sie eine zweite kontext- und zeitunabhängige Existenzform. So kommen sie auch ins Internet, weshalb sie sich über dieses Medium - wie in der letzten Seminarsitzung - thematisieren lassen. Die Wahl des Internets als öffentliche Plattform verweist auf die Auffassung von einer "Demokratisierung der Kunst", die sich nicht in edlen Publikationen einschließt, sondern - ebenso wie an ihrem Präsentationsort - für jedermann zugänglich ist. Diese Art der Dokumentation ist die Verlängerung der künstlerischen Idee mit medialen Mitteln und Teil des künstlerischen Konzeptes.

Künstler, die zeitweise oder ausschließlich mit Raumbezug arbeiten (eine lose unvollständige Reihung, die erweiterungsbedürftig ist):
Joseph Beuys, Dan Graham, Hans Haacke, Jochen Gerz, Christo und Jeanne-Claude, Thomas Hirschhorn, Tadashi Kawamata, Sophie Calle, Richard Long, Rachel Whiteread, Timm Ulrichs, Andy Goldsworthy, Roman Signer, Lois Weinberger, Tobias Rehberger, Daniel Buren, Richard Wentworth, Peter Fischli und David Weiss, Rebecca Horn, Donald Judd...