Marc Mer

(Text aus dem Buch:
Translokation
Zu den Installationen von Graz
Triton Verlag Wien, 1995)

Christian Hasucha
Stadtraum Graz



Was sich wo einstellt, ist dort zur Stelle. Aus derart gefälliger Verkürzung zum bloßen Stelldichein spricht aber noch nichts von dem Einstellerischen, das dem zugrundeliegt und die Stelle selbst in eine gewisse Doppelbödigkeit treibt. Neben den Stellen, an denen sich etwas einstellt, gibt es auch welche, von denen aus etwas eingestellt wird. Darin unterscheiden sich letztere als Stellen beobachtender Projektion von ersteren als Stellen beobachtetet Objektion. Doch was eine abstrakte Betrachtung solchermaßen erlaubt, fein säuberlich voneinander zu trennen und fürderhin auseinanderzuhalten, fließt an konkreter Stelle wieder zusammen. Niemals ist eine Stelle nur von der ersten oder nur von der zweiten Art, immer hat sie von beidem Verhalten etwas, wenn auch zu unterschiedlichen Anteilen.
Die Stellen, die Christian Hasucha im Stadtraum von Graz einrichtete, verhielten sich mehr nach der zweiten Art. Jene Plattformen waren so beschaffen, daß sie den, der sie betrat, zur beobachtenden Projektion anhielten, um ihm darüber die Verschiebungen seines Rundum zuteil werden zulassen, die freilich von ihm selbst erst erzeugt werden mußten. Und weil sich auch alles an ihrer eigenen Erscheinung so sehr darauf ausrichtete, was es durch sie, aber außerhalb von ihnen, einzustellen, nachzustellen und scharfzustellen gab, verloren sie sich als eigene Einstellungen, die sie ja für sich selbst noch waren, ganz in denen, welche sie da, von sich aus zu machen, eröffneten. Doch entsprach solche optische Zurücknahme ihrer Bestimmung, wonach sie sich selbst nur als Mittel bereitstellen sollten, die eigentlich anvisierte Installation darüber erst zu bewerkstelligen, die, wie sich bald herausstellte, als persönliche Tat zu begehen war.
Jeder, der so eine Plattform betrat, beging sie in der je eigenen Sichtweise dessen, wonach er davon Ausschau hielt.
Solchermaßen aber, da jeder Täter nämliche Tat an sich selbst und in sich selbst verübte, mußte sie unsichtbar bleiben für jeden sonst, was unmöglich macht, die jeweilige in ihrer Eigenart zu portraitieren. Und selbst wenn wie hier zu Aufnahmen der unmittelbaren Situierung einer Plattform auch noch solche treten, die zeigen, worauf sie im weiteren Umfeld ausgerichtet war, vermögen diese noch lange nicht die subjektiven Sichtweisen vorzustellen, die eine ebenso konkrete wie imaginäre Person gehabt haben mag, als sie darauf gestanden hatte und in dieselbe Richtung schaute, zumal ja noch allein, was ihr da wie in Erscheinung trat, entscheidend davon abhängig sein mußte, was just in dem Zeitraum, den sie auf eben jener Plattform verbrachte, rundum vor sich ging. Wie könnte also eine Aufnahme, die ein anderer zu anderer Zeit von dieser aus machte, dem je entsprechen?
Private Installationen wie diese lassen sich den jeweiligen Köpfen ihrer Erzeuger wohl nur schwerlich entbergen, selbst jene noch aus solchen, die durchaus gewillt wären, sie zu veräußern. Demjenigen Leser und Betrachter aber, der sich dennoch nicht von einem eigenen Annäherungsversuch abhalten lassen will, sollen die hier angebotenen Aufnahmen trotz ihrer dokumentarischen Unzulänglichkeit, derer er sich dabei bewußt sein sollte, einen bescheidenen Anhalt dafür geben. Denn späteren Köpfen, keinesfalls aber Apparaten, kann es mitunter doch gelingen, fast abbildgenau das nachzustellen, was frühere dort - an gleicher Stelle, aber unter anderen Umständen - sich sehend erdachten und denkend ersahen.
Wer wie Christian Hasucha die Konstruktion lokaler Realität zur Disposition stellt, weiß um das grundsätzlich Subjektive jeder Wirklichkeit. Dem trug er schon in allen Vorbereitungen, die er zur Verwirklichung seines Eingriffs zu treffen hatte, Rechnung - und zog sich, nachdem das grundlegende Konzept seiner Intervention entwickelt, formuliert und adressiert war, auf die Position eines Handwerkers zurück, der die einzelnen Plattformen auf Bestellung anfertigte und an den durch die Kunden vorgezeichneten Stellen anbrachte.
Den Zeitraum, für den sie dort bleiben sollten, hat er bewußt so gewählt, daß sie nicht gleichzeitig mit den übrigen Installationen gegenwärtig werden konnten. Wer sich an den einen etwas erschlossen zu haben glaubte, sollte keine Gelegenheit erhalten, es auf jene zu übertragen. Ein Initialbrief, der zur Eröffnung der Ausstellung im Haus der Architektur an die Besucher verteilt und zusätzlich vom Kulturamt der Stadt Graz an einen vorsorglich ausgewählten Kreis möglicher Interessenten versandt wurde, legte den in Frage kommenden Kundenstamm fest. Der Brief enthielt ein kurzes Anschreiben, eine technische Zeichnung, einen papierenen Maßstab und eine Antwortkarte. Das Anschreiben erläuterte kurz das Projekt und die Vorgehensweise der Bestellung. Aus der technischen Zeichnung waren nicht nur Konstruktion und Anbringung der Plattform ersichtlich, sie war zudem von einigen geschriebenen Zeilen begleitet, die ihrem potentiellen Besteller suggerierten, sie meditativ zu nutzen. Der papierene Maßstab diente dazu, den Umfang des für die Anbringung der bestellten Plattform ausgesuchten Straßenmastes zu messen. Mit den nötigen Daten versehen gingen die Antwortkarten über das Kulturamt, das sie sammelte, an Christian Hasucha zurück. Der fertigte die bestellten Plattformen in seinem Atelier in Köln vor, transportierte sie nach Graz und montierte sie. So fanden sich jene Plattformen erst nach geraumer Vorlaufzeit tatsächlich an den für sie vorgesehenen Stellen im Stadtraum ein, und ohne daß ihre Besteller über das genaue Datum der Anbringung vorher informiert worden wären, wodurch sich die gezwungen sahen, dort, wo sie jene erwarteten, solange nach ihnen Ausschau zu halten. In die eigentliche Phase ihrer intensiven Nutzung, die nun folgte, schickte sich dennoch schon eine Ahnung davon voraus, wie es wäre, wenn sie erst begännen, zu Vehikeln für gewohnte Blickstellungen zu verkommen. Und so kam es bald auch vor, daß der eine oder andere ihrer Benutzer sich dabei ertappte, wie er sich schon, auf die Möglichkeit einer unlimitierten Anwesenheit der eigenen Plattform spekulierend, den süßen Genuß tagtäglich gleicher Bildwiederholung ausmalte.
Auf daß sie eben nicht in solchen zu lange währenden Gebrauch mündeten, in dem ihre translozierende Effizienz sich in nivellierender Wiederholung zunehmend verbraucht hätte, waren die Plattformen ebenso unvermittelt wie sie eingesetzt, aus ihren Stellen auch wieder entfernt worden.

Vgl. Projektdokumentation Nr. 16 P