Marc Mer; Feuerstein, Thomas

(Beitrag in:
Translokation
Der ver-rückte Ort
Triton Verlag Wien, 1994)

INTERVIEW CHRISTIAN HASUCHA

MM: Deine Interventionen im sogenannten öffentlichen Raum unterscheiden sich von anderen grundsätzlich dadurch, daß sie selbst Ereignischarakter haben bzw. katalytisch Ereignisse auslösen. Wenn Du solcherart, wie Du selbst formulierst, in das mechanistische urbane Alltagsgeschehen eingreift, spricht daraus die Absicht, nichtmechanistische, also bewußte Handlungspotentiale zu provozieren?

CH: Zunächst möchte ich klarstellen, daß meine Arbeit sich nicht auf die oder gegen die öffentlichen Strukturen im allgemeinen bezieht, sondern daß ich begrenzte, modellhafte Situationen herstelle, bestimmte Aspekte aus den alltäglichen Geschehnisabläufen behandle. Das kann so weit gehen, daß innerhalb einer ausgewählten Umgebung ein Ereignis von einzelnen Informierten oder agierenden Beteiligten ausgelöst wird. Für diese Akteure ist die konkrete Erfahrung mit dem dafür Implantierten relevant, für Passanten können sich die Interventionen als unerwartete Störungen des ritualisierten Alltagsablaufes erweisen und die Handlungs-Optionen des Akteurs sich durch indirektes Miterleben, das heißt durch Beobachten vermitteln. Es vermischt sich also ein Teil des vielfach vernetzten, ineinandergreifenden Stadtsystems mit einer exemplarisch installierten Anordnung, die ungewöhnliche Erfahrungen zuläßt. Bei meinen jüngsten Interventionen kann der bearbeitete Aspekt allerdings von den Passanten einer ganzen Kleinstadt wahrgenommen werden. Hier ist der Eingriff als weitgestreutes Subsystem oder als Subvernetzung realisiert.

MM: Die Störung festgefahrener Raum- und Ereignisstrukturen ist in Deiner Arbeit oft mit dem Angebot der Benutzung von Instrumenten verbunden, die auf individuelle Erfahrungen angelegt sind. Kann das Verhältnis von Individuum zu Öffentlichkeit als entscheidender Punkt Deiner Eingriffe gesehen werden?

CH: Das Verhältnis von Individuum zu Öffentlichkeit spielt eine zentrale Rolle, deswegen möchte ich mit meinen Arrangements einen gewissen Beobachterstatus evozieren, über den das Fremde im öffentlich Konventionellen erfahren werden kann. Insofern ist die Intervention, deren Resultat ein ­verschobener' Ort sein kann, nur Auslöser. Oft bewirkt sie eine Verschiebung der Haltung der Beteiligten, was dann auch auf andere Bereiche der Öffentlichkeit übertragen werden kann.

TF: Deine Arbeiten zielen im allgemeinen auf die lmplantation eines Fremdkörpers in bestehende Strukturen. Wie entsteht dabei das Andersartige oder Fremde und vor allem, was unterscheidet es vom Identischen?

CH: Das, was Du hier als das ³Identische" bezeichnest, kann mit den übrigen Bestandteilen und Phänomenen des Umfeldes in ein bekanntes Verhältnis gebracht werden. Fremdes entwickelt sich, wenn etwas scheinbar Vertrautes durch die Art und Weise seiner Anordnung, heim Benutzen, im weiteren Verlauf- zum Beispiel durch ungewöhnliche Repetition oder ähnliches - ins Unbekannte abdriftet und Unsicherheit hervorruft. ­Stehe ich jetzt vor einer zufälligen Verkettung von Umständen oder vor subtil Inszeniertem?' ist eine Frage, die in diesem Zusammenhang öfter auftauchen sollte. Diese Unsicherheit bringt eine Labilisierung der gesamten Situation mit sich, etwas, was die scheinbar so geregelt verlaufende Normalität trügerisch erscheinen läßt. Aus diesem Grund kündige ich meine Interventionen nicht an und ich deklariere sie auch nicht als etwas dem Kunstbereich Zugehöriges. Fremdes entfaltet sich eben nur beschränkt bei konventioneller Annoncierung als Kunstwerk, sei es auch noch so exotisch gestaltet. Auch konventionelle Plazierung bewirkt die Zuordnung zum allesfressenden Kunstbegriff der die seltsamsten Dinge gesellschaftlich legitimiert, die von vielen deshalb auch nicht weiter befragt werden. Das interessante Fremde kann sich meiner Ansicht nach besser aus dem Alltäglichen heraus entwickeln und wird sich erst im Verlauf seines Zusammen- bzw. Entgegenwirkens mit den Phänomenen der Umgebung in seiner ganzen Eigenheit zeigen

TF.: Es geht Dir bei Deinen Interventionen also uni eine Manipulation des Vorhandenen oder ist es eine Entfremdung des Vorgestellten? Genauer, versucht Deine Methode auf der Ebene einer zum Teil unbewußten - weil automatisierten -Rezeption von und Interaktion mit alltäglicher Umwelt zu operieren, oder visieren Deine Interventionen eine Reflexion alltäglicher Handlungsmuster und somit eine auch politische Wertkorrektur im Spannungsfeld zwischen Individuum und öffentlichen Kollektivräumen an?

CH: Aus meinen Manipulationen des Vorhandenen entstehen Konstellationen, die dazu führen, daß nicht nur Strukturen verändert werden, sondern es werden auch, anders als bei den medial-virtuellen oder bei den auf der publizistischen Schiene vorgestellten Arbeiten, lebendige und komplexe Raum- und Prozeßerfahrungen ermöglicht. Der Charakter dieser Erfahrungen läßt sich durch den Modus der Kombination der verschiedenen beteiligten Elemente gestalten, was in Fachkreisen als künstlerische Artikulation verstanden wird. Die politische Dimension ergibt sich automatisch, da die konkrete Erfahrung, bei vielen meiner Arbeiten im Begriffsspektrum ­solitär - kollektiv' angesiedelt, dazu führt, daß die verursachenden, auslösenden Momente nachvollzogen werden können. Mich interessiert also, die Sprache des Vorhandenen zu aktivieren und sie mittels Manipulation und Implantation zu modulieren. Natürlich spielt die jeweilige gesellschaftliche Konstitution eine große Rolle. Wenn ich in St. Petersburg eine ähnliche Intervention wie in Köln initiiere, so werden sie natürlich sehr unterschiedlich rezipiert.

TF: Nicht Evokation eines Abbildes, sondern der Verweis auf und das Aufzeigen von Strukturzusammenhängen ist ein Teil der Konzeption Deiner ­Attributiven Plastik'. Die Konstellation der Elemente bzw. der ­Modus der Kombinationen 'bestimmt dabei, wie Du sagst, die Aussage. Verbindet sich damit der Ansatz, daß die Veränderung von Werten, Funktionen und Situationen nur durch Verschiebung ihrer Stellenwerte einhergehen kann?

CH: Ich denke, es geht nicht nur um die Veränderung von Werten, sondern generell um eine Verlagerung beziehungsweise Erweiterung des individuellen Handlungsspielraumes. Funktionalistische Strukturen im urbanen Außenraum engen diesen Spielraum unerträglich stark ein, so daß ab.und zu eigeninitiative Veränderungen seitens der Anwohner zu beobachten sind. Vandalismus, Bürgerinitiativen, Graffiti oder private Bepflanzung von Straßenland sind Beispiele dafür. in diesen Zusammenhängen wird sehr unterschiedlich miteinander kommuniziert und auch die Künstler, die gegenwärtig im Stadtraum experimentieren, versuchen, exemplarische Formen der Kommunikation zu entwickeln. Insofern sehe ich in meiner Arbeit eher ein Forschungsvorhaben mit ungewissem Ausgang als ein Durchspielen oder Analysieren der Formen und Strukturen von Urbanität. Der teilweise subversive Charakter meiner Arbeiten, insbesondere, wenn ohne Genehmigung agiert wird, intendiert ja auch modellhaft die Rückgewinnung des lebensfeindlich gewordenen Außenraumes, ist also ganz und gar nicht formalistisch, sondern eine sehr vitale Angelegenheit. Der Stadtraum zwischen den bewohnten Räumen sollte den Bewohnern - wegen der kurzen Distanzen zueinander - eigentlich als hervorragendes Forum der Kommunikation und des interaktiven Miteinanders dienen können. Die überwiegende Zahl beschränkt sich heute aber nur noch im stummen Präsentieren von Fortbewegungsvehikeln.

MM: In Deinem Projekt ­JETZT, in dem ein über den Dächern auf einem Stuhl sitzender Akteur das Wort ­JETZT zu bestimmten Augenblicken als Lichtzeichen in den Nachtraum des Platzes wirft, weist die Zeitansage des aktuellen Moments auf die permanente Wandlung und damit Relativität der räumlichen Konstellation vor Ort. Läßt sich neben dieser Aussage das au/leuchtende ­JETZT nicht auch als Aufforderung verstehen, jetzt eine bestimmte Handlungsanweisung auszuführen ? Inwieweit zielt das ­JETZT auf einen öffentlichen, also politischen Handlungsbedarf'? Welche Rolle spielt in Deinen Arbeiten überhaupt das Thema des Politischen, des öffentlichen Raumes und im weiteren ein manipulatives Interesse daran?

CH: So, wie Du eingangs schon richtig anmerktest, war auch die Situation für das ­JETZT' auf der Fassade im Spannungsverhältnis ­Individuum - Öffentlichkeit' angesiedelt. Die Veröffentlichung der von einem Individuum subjektiv ausgewählten, bevorzugten Momente im urbanen Zeit-kontinuum unterstreicht einen Anspruch auf Aneignung und Mitteilung. Merkwürdigerweise glaubten einige Passanten, der Akteur würde sich zusammen mit der Ankündigung ­JETZT' von der Fassade stürzen wollen, andere stellten sich Rücken an Rücken, um zu kontrollieren beziehungsweise zu beobachten, für wen oder was diese Aufforderung gedacht sei. Diese von mir nicht erwarteten Konnotationen rühren daher, daß ich die Aktionen in kein bekanntes ­label' verpacke, weder eine öffentliche Ankündigung noch eine Kunst-Etikettierung vornehme, um Vorurteile nicht einrasten zu lassen und um damit das Ausweichen ins Nichtbeteiligtsein zu erschweren. So bleiben Fragen, die auch mal in die Irre gehen, die allerdings auch immer etwas mit der Disposition des Betrachters zu tun haben und somit selbstreferentiell sind. Im übrigen konterkarierte die formale Gestaltung auch die anonymen Leuchtreklamen, die stereotyp blinkend oder statisch bis zum technischen Defekt die sich ändernden Situationen überdauern. Den politischen Aspekt in meiner Arbeit sehe ich ganz allgemein im Aufzeigen von Möglichkeiten, Stadtraum anders zu nutzen. Ich fühle mich aber nicht zu politsch-bürgerinitiativlerischer Aktivität berufen. Mein Interesse an dem von jedem in Grenzen benutzbaren öffentlichen Raum gilt dem inter- bzw. kontextuellen Agieren, wie es sich aus dem ungenauen Begriff ­Rauminstallation' der 70er und 80er Jahre entwickelt hat. In den institutionellen Präsentationskomplexen und erst recht in den kommerziellen können diese konsequenten Weiterentwicklungen zur Zeit nur unzulänglich gezeigt werden. Es herrscht dort ein munteres Durcheinander von relativ hermetischen - also im Bildgeviert eingeschlossenen oder auf Exponierungselemente isolierte Arbeiten - mit kontextuellen, auf die Umgebung bezogenen Gestaltungen. Das alles führte zu dem Interpretations- und Rezeptionswirrwarr und letztlich zum Desinteresse an gegenwärtigen Entwicklungen. Nur eine scharfe Abtrennung der berechtigt konventionellen Präsentationen und die Bereitschaft, interventiv arbeitenden Künstlern die Präsentationsgestaltung, die ja wichtiger Bestandteil der Arbeit ist, zu überlassen, könnte aus dem derzeitigen Dilemma führen. Deshalb, und weil mich meine künstlerische Entwicklung dahin führte, wich ich aus und suchte meine Referenzumgebungen abseits der museumspädagogischen, publikumsorientierten Kunstrundgänge. Hier erreiche ich Passanten und Anwohner im alltäglichen Kokon der Konventionen, wo sie sich untereinander und mit den baulich-zwischenräumlichen Gegebenheiten der Stadt arrangieren müssen. Nichtkategorisierbare Ereignisse oder Fremdkörper können hier im Gefüge des Stadtraumes schillern.

MM. Die architektonische Prägung des Ortes spielt eine konstitutive Rolle für seine Ereignisstruktur. Deine Arbeiten haben oft baulichen beziehungsweise konstruktiv-technischen Charakter. Welchen Stellenwert nimmt die Architektur beziehungsweise der bauliche Rahmen des Ortes über die Möglichkeiten der Anlehnung, Aufstellung, Befestigung hinaus ein? Welche Rolle kommt ihr hei der Auswahl des Ortes zu?

CH: Der Stellenwert, den der vorhandene bauliche Rahmen einnimmt, ist gleichberechtigt zu dem des von mir Eingesetzten. Interferenzen, gegenseitige Beeinflussungen sollen ja einsetzen. Es findet also keine ³Verhübschung" statt. Es ist andererseits eine Frage der Mittel und des Wollens, derart gigantomanische Interventionen zu veranlassen, daß sich tatsächlich zwei gleich wirksame Strukturen gegenüberstehen beziehungsweise ineinanderfließen. Ich denke, die mir und meinem handwerklichen Interesse angemessene Äußerungs-dimension bezieht sich auf überschaubare Situationen. Ich mag dabei auch das Paradoxon öffentlicher Intimität, wenn in den Nischen und Bahnen öffentlichen Lebens Eigenwilliges erscheint. Hierfür die geeignete Modellsituation zu finden, ist enorm wichtig, sie ist konstituierender Bestandteil des künstlerischen Ensembles und muß sich stellvertretend behaupten können gegen die Wucht der Stadt. Zunehmend setze ich in die vorhandenen technischen und architektonischen Systeme und Subsysteme interferierende Strukturen ein, die die alltäglichen Begebenheiten changieren lassen. innerhalb eines begrenzten Bezirkes wird eine Besonderheit temporär inszeniert. Diese Eingriffe sind situationsgebunden und können oft nicht ohne weiteres übertragen werden. Für sich allein betrachtet sind viele Setzungen so banal wie jede andere Erscheinung des Alltags auch. Wird aber die Konstellation wahrgenommen, die zwischen Eingesetztem und aufnehmendem Umfeld besteht, kann der übergreifende, modellhafte Gedanke, kann das Arrangement erkannt werden. Einzelne Anwohner/Passanten werden im Verlauf solcher Interventionen, die oft prozeßhaft sind, d. h. die mit den zeitlichen Abläufen der Gegebenheiten in der Wirtsumgebung korrespondieren, konfrontiert. Das unangekündigte Auftauchen, der Verbleib und das unerwartete Entfernen der Einwirkung sind sorgfältig geplant. Das hat natürlich etwas Okkupierendes, Oktroyierendes an sich, scheint mir aber angesichts der Verfügungswillkür der Städtebaubürokratie eine Gegenposition zu sein und ist wegen des temporären Erscheinens legitim. In jedem Fall werden hier die direkten Erfahrungen des Einzelnen in seiner ihm bekannten Umgebung berührt. Eine Umwandlung dieser Umgebung in ein zeitweiliges open-air-Museum findet nicht statt. Bei dieser Art der kontextuellen Arbeit, die sich auch als Beitrag zur Entwicklung versteht, ist der konsumistische, der überfallartige Kunsttourismus nicht angesprochen, die diesbezügliche Informationsverbreitung findet vorwiegend auf der Sekundärebene der Publikationen und der Dokumentationen statt.

MM. Wenn Du in Deinem Text ÖFFENTLICHE INTERVEN-TIONEN schreibst: ³wenn nicht konzeptionell begründet~ sollten keine .repräsentativen ' Plätze oder Boulevards bearbeitet werden", muß hier doch angemerkt werden, daß gerade der repräsentative Ort einer korrigierenden Verschiebung bedarf Läßt sich die Gefahr, daß der künstlerische Eingriff zur touristischen Attraktion wird, nicht mit Leichtigkeit durch den Verzicht au/einen auratischen Kunstcharakter in der Art und Weise seiner Konzeption und Ausführung, wie er auch in Deinem Werk aufscheint, vermeiden ? An dieser Stelle fügt sich auch die Frage an: führte dies nicht überhaupt und speziell im Umgang mit öffentlichem Raum zu einer erhöhten Treffsicherheit der künstlerischen Aktion ?

CH: Nicht der ­repräsentative' Ort, der Ort, der mit seiner architektonischen Anlage dafür konzipiert wurde, bedarf der Verschiebung, sondern die Haltung, aus der heraus solche Anlagen auch heute noch geplant werden. Wenn ­repräsentative' Plätze durch nichtauratisierte, unverbrämte Arbeiten umdefiniert werden, so ist dieser Vorgang ja auch wieder nichts anderes als eine Korrektur, ein Versuch der Verkleisterung bestehender Mißstände. Außerdem glaube ich, daß einige ­repräsentative' Plätze durchaus für authentische Gestaltung im Sinne der Geschichtssicherung erhalten bleiben sollten, auch, um den Kontrast zu anders gestalteten Eingriffen deutlich werden zu lassen. Wie vorhin bereits ausgeführt, bin ich der Meinung, daß viele Arbeiten im Stadtraum - durch ihre offizielle Zuordnung zum Kunstbereich - vorwiegend über die von Vorurteilen geprägte oder über die rationale, didaktische Ebene rezipiert werden und deren Eigenheiten und Exotismen manchem durch die vielen unsäglichen kunsttheoretischen Verbrämungen der jüngeren Vergangenheit suspekt geworden sind, sich nicht vermitteln. Sie sollten also anonym und kontextuell arrangiert auftreten. Die den Arbeiten eigenen Sprachen und deren Dialoge erschließen sich sowieso nur dem, der sich unbefangen nähern kann und der genügend Interesse aufbringt, das Fremde in seiner Eigenart anzunehmen. Die Unbefangenheit nähme langfristig zu, je häufiger Fremdes, subtil installiert, wie selbstverständlich erschiene. Für die Bedingungen des Interesses, des ­Dazwischenseins', sind Architekten, Stadtplaner und andere Interventionisten gefragt.