Marcus Lütkemeyer

Heute hier, morgen dort…
(Auszug aus dem Textheft)

Im Rahmen des Ausstellungsprojekts hat Christian Hasucha einen vielschichtigen Eingriff am Hamannplatz (Coerde-Markt) im Stadtteil Münster-Coerde vorgenommen. Im vorderen Bereich der Anlage, unmittelbar vor der Filiale der Stadtbibliothek wurde eine 10 x 10 Meter große, im Mäandermuster gepflasterte Fläche um 180 Grad gedreht. Das 100 qm umfassende Quadrat ist an seinen Kanten aus dem Platz geschnitten, die einzelnen Pflasterteile wurden stückweise zwischengelagert und an exakter 180 Grad-Position wieder eingesetzt. Die vorhandene Parkbank und die Streugutkiste finden an entsprechender Stelle ebenso ihren neuen Platz wie eine Kugelleuchte, die ausgegraben und neu installiert worden ist. Kommentiert von einer lnschrifttafel wird die "Münster Coerde Drehung für ein halbes Jahr bestehen und anschließend in den Ausgangszustand rückgebaut.
Trotz ihres installativen und ortsbezogenen Gestus zielt die Arbeit nicht auf eine skulpturale Intervention, wie sie etwa von den Skulptur.Projekten in Münster bekannt ist. Auch handelt es sich nicht um einen weiteren Beitrag zur Musealisierung des visuell überzeichneten, repräsentativen Stadtbereichs. Dass die Platzdrehung sich hingegen in Coerde ereignet, resultiert aus den genauen Beobachtungen des Künstlers. Einerseits verweist die Auseinandersetzung subtil auf die zentralistischen Verwaltungsstrukturen und die damit verbundene Einbahnstraße städtischer ldentitätsansiedlung, in einem an sich engen Stadtgefüge, andererseits blieb der Ort von künstlerischen Eingriffen bisher weitgehend verschont, zumal das erwartete Kunstpublikum hier kaum anzutreffen ist. Anstelle der schnelllebigen Erlebniskulissen der Innenstadt finden sich gewachsene Strukturen, die um das vierzigjährige Stadtentwicklungskonzept eines konsumfreundlichen Lebensareals ranken. Dabei erweist sich der Hamannplatz mit seiner Pueblobebauung rund um eine gestreckte Platzanlage, deren Zentrum ein Wasserspiel markiert, als eine typische Variante früher Stadtplanung, die mit dem Siegeszug der Fußgängerzone den täglichen Einkauf zur beschaulichen Freizeitbeschäftigung umdeklarierte: Eine inzwischen mental einverleibte Form ökonomisierter Alltagswelt, in der das Ausstanzen und Versetzen des Künstlers weitaus größere Wahrnehmungserosionen und nachhaltigere Irritationen zu verursachen vermag, als in den kaum mehr neue Überraschungen bietenden Hochglanzoberflächen urbaner Zentren. So trifft man in Coerde mit Wohnblocks, Handels- und Discountläden, Cafes, Wochenmarkt und Bibliothek auf einen scheinbar unabhängigen, sozial wie kulturell funktionierenden Stadtteilsatelliten. In diesen Funktionszusammenhang greift die Platzdrehung ungefragt ein. Obwohl Christian Hasucha eine an die Verfügungsmacht der Behörden angelehnte, autoritäre Setzung vornimmt, zögert er den eigentlichen Vorgang der Drehung bewusst hinaus, so dass vor Ort eine Baustelle entsteht, die es ermöglicht, unmittelbar oder peripher am künstlerischen Prozess visuell und kommunikativ Teil zu nehmen.
Vor allem für die gewohnheitsmäßigen Netzer der Bank wird sich die vorgefundene Szenerie wandeln und dennoch vertraut bleiben. Obgleich die Binnenstruktur unverändert ist, erscheint der Ausschnitt als Fremdkörper in einem modellhaft gestörten Kontext. Nicht nur rückt der bisherige Rastplatz ins eigene Blickfeld, auch werden die vormaligen Beobachter am Rande des Platzes selbst zu Beobachteten, insofern sie exponierter als zuvor sitzen, Sie agieren als Darsteller auf einem exemplarisch wirkenden Spielfeld, wogegen die Fläche selbst eine öffentlich-städtische, kulturell vereinnahmte Bühne formiert.
Gegen die ‚kulturelle Okkupation' des Lebensraums hat sich bereits im Vorfeld erster Protest vor Ort artikuliert - ein Reflex der Revierverteidigung, der trotz der simplifiziert und pauschalisiert vorgetragenen Argumente durchaus ernst zu nehmen ist, zumal sich in ihm ein Anspruch auf kulturellen Respekt manifestiert. Nicht zuletzt kennzeichnet der Eingriff in den Außenraum immer auch die symbolische Besetzung eines Ortes. So steht die Autonomie der künstlerischen Arbeit in brisantem Kontrast zu einer strikt funktional gestalteten Umgebung. Weder fügt sie sich in den Kontext der Funktionalität ein, noch will sie ihn erkennbar transzendieren. Vielmehr bewirkt die modellhafte Übertragung des in virtueller Form gängigen ‚cut and paste' eine sonderbare Labilisierung des Areals. Aber genau diese streitbaren Momente denkt das Projekt mit, weshalb seine polarisierenden Potentiale vor allem auf die Autonomie des Betrachters und die Reflexion seiner Souveränität zielen: So ermöglicht die "Münster-Coerde Drehung" eine Rückbesinnung auf die identitätsbildenden, politisch wirksamen Aspekte des öffentlichen Raums, die im Stadtbild wirkungsvoll zentralisiert/kanalisiert wurden und den optischen Endverbraucher um das Erlebnis seiner Souveränität bringen. Ungeachtet ihrer avancierten Form, fokussiert die Installation in Coerde die alte und bedrohte Tradition des öffentlichen Lebens und resultiert somit aus der Gewissheit, dass nur ein permanentes lnfragestellen des öffentlichen Raums diesen als solchen erst wieder zu konstituieren vermag.

Vgl. Projektdokumentation Nr. 48 Münster-Coerde Drehung