CHRISTIAN HASUCHA

Über die Autonomie der Intervention


(Katalogtext zur Dortmunder Intervention ³WEGE" und gleichzeitiger Ausstellung ³ORTE" im Dortmunder Kunstverein, 1995)

Interventionen sind mit den gängigen Ritualen der Kunstpräsentation nicht zu erfassen. Das klassische Kunstprodukt wird konvergent erarbeitet ­ erhält also auf einen zeitlichen und räumlichen Punkt hin eine vorgesehene Gestalt. Von dort aus wird es vom Publikum wahrgenommen und verteilt bzw. deponiert. Interventionen scheinen, allein schon wegen ihres prozessualen Charakters und wegen ihres Auftretens an alltäglichen, urbanen Orten, für Vernissagen ungeeignet zu sein. Der Pulk der eingeladenen Kunstfreunde erweist sich am Interventionsort als Fremdkörper, zugereist und lediglich in der Lage, sich von den Komponenten des Eingriffes und seines Wirkungsfeldes einen distanzierten Überblick zu verschaffen. Dos zufällige Bemerken rätselhafter Dinge und Ereignisse bleibt Passanten und Anwohnern vorbehalten.

Die ersten Anzeichen einer Intervention, deren Verlauf, die Reaktion als Betroffener, die allmähliche Adaption ins Alltägliche oder das herbeigeführte, plötzliche Verschwinden des Fremden bei gleichzeitiger Offenbarung einer Lücke, all dies bleibt dem kurzzeitig Dazugekommenen als Zaungast verschlossen. Mein Unbehagen und das anderer lnterventionisten gegenüber den ³Invasionen" der Kunstfreunde bei Eröffnungsveranstaltungen und Rundgängen läßt sich damit erklären. Es entwickelten sich ausweichende Konzepte, u.a.:

a)      Die anonyme Intervention.

Eingriffe und Hinzufügungen werden ungefragt, unangekündigt und unetikettiert vorgenommen. Ein Beispiel ist die ³Expedition LT28E", einer einjährigen Arbeitsreise durch Randgebiete Europas, bei der das ³Publikum" aus zufällig Vorbeikommenden bestand und die Arbeiten der jeweiligen Gemeinde zur freien Verfügung überlassen wurde.


b)      Die gelenkte Intervention.

Die Intervention wird mit Beteiligten realisiert. Die Teilnehmergruppe bildet sich meist über Initialbriefe, die den Angeschriebenen anbietet, in ihrem persönlichen Umfeld Zeugen oder Nutzer von Begegnungen, lmplantaten oder attributiver Gerätschaft zu werden .³Öffentlichkeit" wird wiederum durch zufällig Dazukommende hergestellt. Wenn die Intervention teilnehmergebunden angelegt ist und die Gruppe der Teilnehmenden mit der Publikumsgruppe identisch ist, wird die anfangs erwähnte Distanz zwar aufgehoben, jedoch mutiert die Angelegenheit zu einer geschlossenen Veranstaltung. Für Außenstehende muß sie deshalb dokumentiert werden.

Dokumentarische Ausstellungen (z.B. die Nutzung von Galerie- und Museumsräumen als Archiv oder als lnformationszentrum für die andernorts realisierten Eingriffe) sind zur Zeit recht häufig, hinterlassen aber oft einen etwas schalen Geschmack, wenn die Information genausogut von Printmedien transportiert werden könnte. Relikte, Mobiliar oder Requisiten einer Intervention, die ausgestellt werden, haben allenfalls Fetischcharakter; mit Hilfe von Museums-Aura wird nicht selten versucht, sie zur Kunstware zu veredeln. Interventionen haben also für Betroffene oder für Teilnehmende eine grundlegend andere Bedeutung als für außenstehend Interessierte oder Verwerter. Über die Rolle der Dokumentation müßte in diesem Zusammenhang gesondert reflektiert werden.


c)      Die beauftragte Intervention.

Eine dritte Form der Intervention ist die beauftragte, genehmigte, mit den Genehmigungsparametern operierende - und die Kunsttauristen in ein spezielles Bild einbeziehende - Abfolge von Veränderungen (z.B. JETZT II mit Richtfest-Bild, PULHEIMER ROCHADE mit Begehungs-Bild). Hier ist vor allem die kooperative Abstimmung mit den Projektförderern, Handwerkern und anderen Ausführenden maßgebend für das Gelingen der Arbeit. Da jedoch die Offenheit, jenseits von Quotendenken und außerhalb eingefahrener Strukturen zu agieren selten anzutreffen ist, ist auch diese lnterventionsform selten, gewinnt aber offensichtlich immer mehr Befürworter. Während der Vorbereitungszeit zur PULHEIMER ROCHADE entwickelte sich z.B. die Kooperation mit den städtischen Verantwortlichen zu einer spannenden Diskussions- und Entscheidungsabfolge, bei der Zug um Zug höchst konzeptbezogen die Erscheinungsform, die Machbarkeit und die mögliche Wirksamkeit der Intervention austariert wurden

Als Gegenbild zur vorherrschenden Disneylandisierung der Kunst ist die Intervention in den Formen, wie hier beschrieben, nach wie vor aktuell. Umfassend ästhetisch wahrnehmbar unmittelbar erfahrbar ist sie in ihren facettenreichen Erscheinungsformen aber nur von zufällig Betroffenen, Anwohnern oder Beteiligten.

Als Ware taugt sie schon gar nicht. Eher als Fragestellung.