CHRISTIAN HASUCHA

Die Diebe des künstlerischen Eigentums


Potente Faktoren beeinflussen nach wie vor die Kunstproduktion: der kommerzielle Erfolg, der Trend und die eitle Vermittlung.

(Beitrag zu WAPO, erste Veröffentlichung durch LISA SCHMITZ und CHRISTA SCHNEEGASS, Experimental Studio der Akademie der Künste Berlin, 1996)

1) Der Künstler, der sich heute in naiver Kapitalismusferne einem inspirativen, nicht korrumpierbaren Autonomiebegriff verpflichtet fühlt, wird längst auch von Kollegen als "romantischer Spinner" bezeichnet. Eigensinniges, nichtlineares Vor-sich-hin-Frickeln wird nicht als Indiz für künstlerische Glaubwürdigkeit gewertet, die qualitative Einordnung ist, obwohl oft bestritten, unmittelbar an den Markterfolg gekoppelt. Publikumsandrang oder Verkäufe sind uneingestandene, aber faktisch geltende Kriterien.

2) Die explodierende Vielfältigkeit künstlerischer Artikulationsformen hat den Galeristen, Kuratoren und Theoretikern eine enorme Bedeutung zuwachsen lassen: wem es gelingt, im aktuellen Kunstchaos eine Zusammenfassung, eine Eingrenzung vorzunehmen, kann sich des Interesses vieler Beteiligter sicher sein. Kunst wird nicht mehr in ihrer originären Sprache gelesen, sondern in ihrer Übersetzung, in aufbereiteten Häppchen der Informationsmedien. Diese gleichmacherischen Transformationen sind verantwortlich für die wieder häufiger propagierten, neuen Trends, schaffen erst die Voraussetzung dafür. Der folgende, kommerzielle Erfolg oder Mißerfolg ist dann recht bald für die qualitative Einschätzung von entscheidender Bedeutung.

Viele zeitgenössischen Künstler akzeptieren diesen Mechanismus, ohne von ihm profitieren zu können. Sie beherrschen mehr oder weniger perfekt die Technik der Assimilation an Erfolgreiches und stecken die Parameter ihrer Produktion nach der Prämisse "Aktuelle Verwertbarkeit" ab. Ein Trend wird verstärkt, künstlerische Arbeit nivelliert sich. Eine 'Weiterentwicklung "eigener" künstlerischer Gedanken findet hierbei nur am Rande statt.

3) Als Folge der allgemeinen Orientierungslosigkeit hat sich eine miteinander vernetzte Gruppe von Organisatoren, Kunsthistorikern und Kritikern etabliert, die sich ihre Einflüsse in Gremien und Publikationsmedien zunutze machen und richtungsweisend tätig sind. Im Gegensatz zu Perioden, in denen z.B. die Kunstkritik deskriptiv und erläuternd, also vorwiegend nachvollziehend tätig war, wollen und können Theoretiker heute - in den allgegenwärtigen Informationsmedien - Thesen entwerfen und sie durch folgsame Künstler substantiiert sehen. Sie greifen so in das allgemeine Kunstgeschehen ausgrenzend und stichwortgebend ein.

Künstler, die sich heute nicht selbst umfassend um die Realisationsmöglichkeiten ihrer Projekte kümmern, sind den lähmenden Mechanismen des Kunstbetriebs hilflos ausgeliefert und können sich äußerstenfalls systemreflexiv wehren. Sie haben sich entmündigen lassen und folgen den Erwartungen und Profilierungsinteressen der Veranstalter und Theoretiker. Diese verdeckte Auftragskunst hat mit eigen-williger Entwicklung, mit künstlerischen Eigen-tum nichts mehr gemein. So zu tun, als existierten diese Mechanismen nicht, als entstünden künstlerische Aktivitäten in beziehungslosem Vakuum, hilft schon lange nicht mehr. Wird die Utopie der "autonomen" Kunst preisgegeben, wird die Kompatibilität mit einem fremden Interesse in Erwägung gezogen, korrumpiert dies die Urteilsfähigkeit. Es widme sich jeder seinen spezifischen Neigungen.


Christian Hasucha, Oktober 1996