CHRISTIAN HASUCHA

Ereignisse, Stadt-Implantate, Attributive Plastik


Text aus dem Buch ÖFFENTLICHE INTERVENTIONEN
(Ereignisse, Stadt-Implantate, Attributive Plastik)
erschienen 1992 im Uwe Warnke Verlag, Berlin

CHRISTIAN HASUCHA



Definitionen

Als IMPLANTAT wird ein installierter Fremdkörper bezeichnet, der durch Platzierung und Erscheinungsweise eine vorhandene Struktur oder ein Environment in beabsichtigter Weise beeinflusst. Affinitäten zwischen Implantat und Umgebung sind offensichtlich.

Als ATTRIBUTIVES wird eine Hinzufügung, eine Wegnahme oder eine Veränderung innerhalb einer exemplarisch ausgewählten Situation bezeichnet. Das Attributive bezieht sich auf die in einem Funktionszusammenhang befindlichen Objekte und Phänomene und kann sich zur weiteren Umgebung diffus verhalten. Der Modellcharakter kann an der veränderten Situation hermetisch abgelesen werden.

Sowohl das IMPLANTAT als auch das ATTRIBUTIVE sind Ergebnisse ÖFFENTLICHER INTERVENTIONEN, die auch unmittelbar als inszenierte bzw. evozierte EREIGNISSE auftreten können. Diese Ereignisse greifen in das Erscheinungsbild, in die Strukturzusammenhänge und in die Mechnismen des Alltagsgeschehens ein und lösen durch Art und Zeitraum ihrer Präsenz bei den Passsanten und Anwohnern konstruktives Befremden aus.

VORGABEN bieten Handlungsoptionen in Verbindung mit entsprechend präparierten Konstellationen oder Gerätschaften. Sie ermöglichen die Mitteilung ästhetischer Erfahrung.




Ö F F E N T L I C H E    I N T E R V E N T I O N E N


DAS STADT-IMPLANTAT

Ein beliebiger Bestandteil aus der Dingwelt unseres Alltags, welcher in einer zu künstlerischem Präsentationszweck hergerichteten Umgebung - zum Beispiel in einem Museum - konventionell ausgestellt wird, kann als wirklichkeitsgetreues Abbild seiner selbst erfahren werden (siehe: Marcel Duchamps, Guillaume Bijls oder Haim Steinbachs Arrangements). Die Umgebung, in der sich das Exponat befindet - bzw. dessen Präsentation - ermöglicht kontemplatives Betrachten und bewirkt die Umwandlung des Banalobjektes in ein kongruentes Modell seiner selbst.

Werden profane Objekte in einer kunstbetriebsfernen Umgebung, etwa im Straßenbereich einer Großstadt ungewöhnlich platziert, so evozieren sie den Abbildcharakter nicht mehr und können stattdessen auf Strukturzusammenhänge ihres Umfeldes verweisen.

Mit der situationsbezogenen Auswahl solcher Implantate und in der Art und Weise der Platzierung artikuliert sich die Aussage. Der Modus der Kombination von Implantat und Umgebung ist hierfür das formale Mittel. Aus dem Dialog zwischen dem platzierten Gegenstand und dem Umfeld bildet sich die Sprache heraus, mit der das intendierte Strukturmodell artikuliert und verstanden werden kann. Das Implantat bildet den Mittelpunkt des Modells. Es übernimmt durch die Ungewöhnlichkeit seines Erscheinens den aktiven Part des Dialogs und verändert somit die Wertigkeit seiner Umgebung. Der Dialog ist erkennbar, wenn eine vielleicht funktionell absurde, doch modellhaft korrespondierende Konstellation erstellt wurde. Konstellationsmodelle sind hier authentische künstlerische Produkte, repräsentiert durch spezifische Kombinationen oder Gegenüberstellungen.

Solche Arbeiten sind wegen der vor Ort erzielten Wirkung weder direkt übertragbar noch konservierbar. Die Dokumentationsweise dieser Kunstform stellt einen nicht zu unterschätzenden Teil bei der Vermittlung der Arbeiten dar.

Das Einpflanzen eines traditionell hergestellten Kunstobjektes ins urbane Environment führt nicht notwendigerweise ebenfalls zu seiner Verschmelzung mit der Umgebung. Die Andersartigkeit dieses künstlerischen Fremdkörpers, verglichen mit den den üblichen Straßenmöbeln (bezüglich Herstellungsweise, Material, Oberflächenstruktur, Farbe) bewirkt eher ein gedankliches Trennen der kombinierten Erscheinungsbilder: das Umfeld wird nahezu unbeeinflusst wahrgenommen und das Implantat als Besonderheit, die losgelöst vom 'Hier' und 'Jetzt', ein in sich geschlossenes System darstellt...

...Die Ambivalenz des situationsbezogenen Implantates - einerseits modellhaftes Abstraktum, andererseits handfester Teil der Situation - bildet die Brücke zwischen der vorgefundenen Welt des Platzierungsumfeldes und der gedanklichen Welt des Arrangeurs... Die Einbindung des Fremdkörpers in die jeweilige Umgebung durch subtiles Herstellungs- und Platzierungsverfahren verhindert isolierendes Wahrnehmen.
Die Irritation des Wahrnehmenden (steht er nun vor Inszeniertem oder vor einer zufälligen Konstellation?) ist unter anderem von der Dichte der Setzungen innerhalb eines überschaubaren Gebietes abhängig. Nebeneinander inszenierte, nicht zusammengehörige Arrangements nivellieren die Wirkung der einzelnen Arbeiten; sie verhindern deren jeweilige zentrale Positionierung und benutzen dieselbe Umgebung für mehrere, vielleicht sogar gegensätzliche Interpretationsrahmen gleichzeitig. Die Umgebung wird alternierend genutzt und verliert dabei an Bedeutung.


DIE ATTRIBUTIVE PLASTIK

Die Attributive Plastik steht in dichterem Zusammenhang mit der eigens dafür ausgewählten Situation. Der direkte skulpturelle Eingriff oder die direkte plastische Hinzufügung / Wegnahme bezieht sich auf die diesen Situationen immanenten Erscheinungsformen und Funktionsweisen. Durch die Attributive Plastik, die nicht nur als selbständiges, dingliches Element, sondern auch als verändernde Strukturierung auftreten kann, wird die bearbeitete Situation labilisiert, ihre konventionelle Funktion wird in Frage gestellt.

Die Attributive Plastik hat keinen herkömmlichen, dekorativen Bezug zu ihrer unmittelbaren Umgebung, doch die Zugehörigkeit zu ihr sollte offensichtlich sein. Die Ausformungen verhalten sich interferierend, das heißt, der Modellcharakter der Arbeiten kann nur im Zusammenspiel von Attribut und aufnehmender Umgebung gesehen werden.

Ist die bearbeitete Situation auf einen einzelnen Gegenstand reduziert, so ist nicht nur der veränderte Gegenstand als Einheit, sondern auch die Art und Weise seiner Veränderung ein rezipierbares Phänomen. Der am Gegenstand vollzogene Eingriff (oder das Hinzufügen/die Wegnahme) erscheint fremdartig und kann separat vom 'Opfergegenstand' gesehen werden, falls die vorgenommene Veränderung als Gestaltung anerkannt wird. Es löst sich hier also die Form des Eingriffs von der Ganzheit des bearbeiteten Gegenstandes.

Aus dem Verhältnis des Eingriffs zum bearbeiteten Gegenstand bildet sich hierbei der Dialog heraus. Zwischen den beiden Komponenten (der Eingriff als Attribut - der Gegenstand als Träger) findet er hauptsächlich am betreffenden Objekt statt. Die weitere Umgebung ist diffus miteinbezogen; es kommt zum Paradoxon öffentlicher Intimität.

Die Methoden der Attributiven Plastik kontrastieren häufig mit den üblichen Verarbeitungsweisen der verschiedenen Materialien und Gegenstände. Es wird das 'wie' und nicht das 'ob' des Eingriffs artikuliert. Industrielle Arbeitsformen führen oft zu langweiligen Ergebnissen, da sie den Beschränkungen der rationalisierten Fertigung unterliegen und nuancierte Entscheidungen kaum noch zulassen.


DIE ÖFFENTLICHE INTERVENTION

Bei Interventionen, die in die Geschehnisabläufe des alltäglichen Lebens eingreifen, stehen nicht mehr nur dingliche Aspekte im Mittelpunkt, sondern es werden Ereignisse provoziert oder inszeniert, deren Wirkungsfeld fast alle Bereiche der städtischen Öffentlichkeit berühren können.

Ort und Zeitpunkt bzw. der zeitliche Ablauf dieser Aktionen werden präzise ausgewählt. dies ist entscheidender für die Qualität der Arbeiten als deren Publikumswirksamkeit.

Innerhalb eines überschaubaren Gebietes sollte auch hier die Häufung der Ereignisse vermieden werden. Soweit nicht konzeptionell begründet, sollten keine 'repräsentativen' Plätze oder Boulevards bearbeitet werden, um Affinitäten zu zirzensischen oder touristischen Attraktionen zu unterbinden.

Die Art und Weise der Öffentlichen Intervention und deren inszenierter Ablauf sind die modifizierbaren Elemente dieser Kunstform. Je stärker ein solches Ereignis / eine solche Platzierung sich aus einer alltäglichen Situation heraus entwickelt hat und ihr zugehörig scheint, umso intensiver wirken die intervenierenden Momente.

Es gibt bezüglich der zu verwendenden Medien und Materialien sowie der auszuwählenden Orte und Situationen keine Beschränkung. Die Öffentliche Intervention bewegt sich zwischen dem Unauffälligen, Normalen und dem Absurden, Irrationalen. Erst wenn subtil und ambivalent agiert und ausgeführt wird, kann sie als künstlerisches Modell überzeugen.

Ob eine künstlerische Arbeit, die in die sich ändernde, alltägliche Umgebung eingreift, temporär erscheinen oder dauerhaft installiert sein sollte, ist abhängig von den jeweils herrschenden Bedingungen. Je rascher sich die Verhältnisse ändern, umso kürzer ist die Gültigkeitsdauer des Eingriffs anzulegen.

Unter geeigneten Umständen können innerhalb der uns umgebenden, uns determinierenden Parameter einige Beispiele subjektiven Mitteilens realisiert werden.


Christian Hasucha, Köln 1989