Auszüge aus der Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades einer Doctor of Philosophy – PhD eingereicht von Mag. Romana Hagyo, MA

 

Salzburg 2018

 

Romana Hagyo

Über das Wohnen im Bilde sein

 

 

 

 

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Die Auswahl der untersuchten Kunstwerke und die eigene künstlerische Arbeit14 im Kapitel "Die Diffusion des Öffentlichen und Privaten im Wohnen" sind von dem Vorhaben motiviert, zum Thema zu machen, dass "Wohnen" nicht mit dem Daheim-Sein gleichzusetzen ist. Ich möchte das vielschichtige Verhältnis öffentlicher und privater Räume im Wohnen im Kontext aktueller Phänomene von Obdachlosigkeit, Flucht und Migration und neuer medialer Kommunikationsformen diskutieren. Aus diesem Grund wird zum Abschluss des Kapitels "Die Diffusion des Öffentlichen und Privaten im Wohnen" die Arbeit "Test. Test. Liegen" (von Romana Hagyo und Silke Maier-Gamauf) thematisiert, die das Liegen im öffentlichen Raum fokussiert. Der Schwerpunkt der Auswahl der Arbeiten im vierten Kapitel liegt bei Projekten, die an der Schnittstelle öffentlicher und privater Räume platziert sind oder ebendiese zum Thema machen. Im Besonderen werden räumlich erhöhte Positionen an der Fassade, an Balkon und auf Plattformen (beispielsweise Christian Hasucha: "Wohnen in Slubfurt") fokussiert. Zu Beginn dieses Kapitels werden die Plätze am Fenster, am Balkon oder an der Fassade als Schnittstellen öffentlicher und privater Räume anhand historischer Beispiele thematisiert.

 

14 Zum Verhältnis zwischen dem Schreiben über Kunst und der eigenen künstlerischen Produktion siehe das

Kapitel "Zum wechselseitigen Verhältnis von Wissenschaft und Kunst in dieser Arbeit".

 

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Die ausgeführten Beispiele fokussieren die Durchlässigkeit der Grenzen öffentlicher und privater Räume, das Wechselspiel des Blickens, den Austausch von Information und die Teilnahme an Kundgebungen und Protesten als Formen der Beteiligung an der Auseinandersetzung über das Zusammenleben. In der Folge werden ausgewählte Arbeiten von Künstler_innen zum Thema gemacht, die ihre Projekte am Fenster, am Balkon (der Loggia) oder an der Fassade platzieren und auf unterschiedliche Weise die Durchlässigkeit der Grenzen öffentlicher und privater Räume verhandeln. Maja Bajevi? bestickt im Projekt "Women at Work – Under Construction" (1999) gemeinsam mit ihrem Team die Abdeckung der Fassade der National Gallery of Bosnia and Herzegovina. Für "Green, Green Grass of home – the Construction" (2002) rekonstruiert sie den Grundriss ihrer im Krieg verlorenen Wohnung auf einem öffentlichen Platz und stellt die so entstandene Rasenfläche Passant_innen zum Aufenthalt zur Verfügung. Christian Hasucha lässt gegenüber des "Denkmals des Faschismus" in Slubice (Polen) auf einem Baugerüst einen Balkon aufstellen, der von unterschiedlichen Personen einen Tag lang zu gestalten und zu nutzen ist. In einer anderen Arbeit, "Günters Fenster" (2000) macht der Künstler die räumliche Position am Fenster zum Thema, das Projekt "Die Insel" (2006) stellt eine erhöhte Plattform im öffentlichen Raum als Aufenthaltsort zur Verfügung. Die Projekte der beiden Künstler_innen werden zur Diskussion gestellt, um der Frage nachzugehen, inwiefern die Platzierung der Interventionen an der Fassade bzw. am Balkon oder am Fenster geeignet ist, die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Innen- und Außenräumen und die Durchdringung des Öffentlichen und Privaten im Wohnen deutlich zu machen. Die Auswahl der künstlerischen Arbeiten ist von der Intention motiviert, im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit zum Thema zu machen, dass "Wohnen" nicht ausschließlich "mit dem Besitzen eines >Zuhauses<, mit dem Zuhausesein, nah bei sich, inmitten des eigenen Nippes, in seinem Viertel, in seiner Stadt oder auf seinem Landsitz" gleichzusetzen ist (Nancy 2011). Aus diesem Grund wird zum Abschluss des Kapitels ein eigenes Kunstprojekt, "Test. Test. Liegen" (Romana Hagyo und Silke Maier-Gamauf, seit 2015) vorgestellt, das das Liegen im öffentlichen Raum zum Thema macht.

 

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4.4 "Probewohnen" - Christian Hasucha117

 

Im Kapitel "Fenster, Balkon und Fassade" wird anhand historischer Beispiele gezeigt, dass Fenster als Schnittstellen des Innen und Außen fungieren und der Aufenthalt am Balkon die Möglichkeit der Teilnahme an der Öffentlichkeit bietet. Das Fenster dient als Rahmung des Blickes und Strukturierung der Wahrnehmung: "Derartige räumliche Motive sind besonders interessant, da sie zum einen Handlungsoptionen eröffnen, zweitens spezifische Raum– und Blickverhältnisse artikulieren und drittens die Beziehung des Menschen zu den Dingen und der Lebenswelt thematisieren" (Hagener). In der Folge liegt der Fokus auf drei Arbeiten des Künstlers Christian Hasucha: "Probewohnen in Slubfurt" (2005), "Günters Fenster" (2000), und "Die Insel" (2006). In "Probewohnen in Slubfurt" und "Günters Fenster" wurden eine Loggia und ein Fenster als Handlungsorte der öffentlichen Interventionen gewählt. In der fiktiven Stadt Slubfurt (einer Synthese aus Frankfurt/Oder und Slubice) stellte Christian Hasucha auf einem Gerüst gegenüber dem Denkmal des Faschismus eine Loggia auf, die unterschiedlichen Menschen einen Tag lang als Aufenthaltsort diente (vgl. Hasucha o. J.). Da sich die Loggia auf einem Gerüst und nicht in einer Hausfassade befand, bot sie die räumliche Position eines Balkons. Für das Projekt "Günters Fenster" lud Christian Hasucha seinen Nachbarn ein, zwei Wochen lang den Aufenthaltsort zu wechseln. Der Künstler kannte Günter Schulz, weil dieser seine Tage in Berlin-Neukölln damit verbrachte, am Fenster stehend das Geschehen auf der Straße zu beobachten. Christian Hasucha ließ Günters Fenster (und dessen Wohnzimmer) in Mühlheim an der Ruhr nachbauen und lud seinen Nachbarn ein, dort vierzehn Tage am Fenster zu verbringen (vgl. Hasucha 2013). "Probewohnen in Slubfurt" und "Günters Fenster" werden diskutiert, um der Frage nachzugehen, wie sich in der Position am Fenster oder in der Loggia die "Handlungsoptionen", die "Raum – und Blickverhältnisse" und die Beziehungen der Teilnehmerinnen "zu den Dingen und zu der Lebenswelt" gestalten (Hagener). In der Auseinandersetzung mit den Projekten "Günters Fenster" und "Die Insel" wird die Thematik der aktuellen Durchdringung des Öffentlichen und Privaten im Wohnen und im Stadtraum diskutiert.

 

Christian Hasucha wählt seit dem Jahr 1981 den Begriff der "öffentlichen Intervention" für seine künstlerische Arbeit. 118 Er möchte seine Aktionen und Eingriffe als Teil des Alltagslebens verstanden wissen und daher nicht als "Kunst" bezeichnen. "Das Problem, das sich mir damals stellte, war, dass alles, was Du als Künstler öffentlich formuliertest, auch unter das Label ‚Kunst' schlüpfen konnte. Dieses Label stellte dann so etwas wie einen virtuellen ‚white cube' her, der ein kontextuelles Erleben verhinderte. Jeder, der wusste, dass es sich um eine Kunstaktion handelte, bemühte das ihm übermittelte Kunstverständnis, um dazu eine Haltung einzunehmen." (Christian Hasucha in Funken 2001). Aus diesem Grund platziert er seine Arbeiten als zeitlich begrenzte Eingriffe im Außenraum (auf Straßen, Plätzen oder in der Landschaft) oder auch in Lokalen, selten aber in Kunsträumen wie Galerien und Museen. Christian Hasucha bezeichnet seine Arbeiten auch als "Ereignisse, Implantate" und als "Attributives" (Hasucha 1994). Er möchte keine fertigen Werke bieten, die aus einer distanzierten Perspektive betrachtet werden, sondern in Alltagssituationen eingreifen und Menschen (Anwohner_innen, Passant_innen) involvieren (vgl. Funken 2001).119 Der Künstler fokussiert den Handlungsaspekt der Konstitution von öffentlichem Raum, seine Inter ventionen verweisen auf alltägliche Praxen, auf Handlungen von Menschen, die diesen Raum herstellen: Reinhard Braun (1994) betont, dass "der öffentliche Raum" in der Arbeit des Künstlers "ein Gefüge von diversen Praktiken und Gewohnheiten, Automatismen, in jedem Fall ein Netz von Ereignissen und Handlungen, die gezielt oder quasi unbewusst vollzogen werden", darstellt.

 

Christian Hasuchas Arbeit steht im Kontext einer Entwicklung der Kunst im öffentlichen Raum seit Mitte der 1960er Jahre, die sich, Miwon Kwon (2002) folgend, in drei Perioden einteilen lässt. Die drei Entwicklungsphasen verdeutlichen den Wunsch, über die Platzierung von Kunstwerken in öffentlichen Räumen hinaus zu gehen und mit künstlerischen Projekten in stadträumliche und gesellschaftliche Verhältnisse verändernd einzugreifen. Die Konzentration verschob sich "von permanenten Installationen zu temporären Interventionen" (ebd.). Dies beinhaltete "die Verschiebung des Schwerpunkts von ästhetischen auf soziale Anliegen" (ebd.), indem nicht fertige Objekte aufgestellt, sondern Prozesse initiiert und Ereignisse ausgelöst wurden. "Kunst im öffentlichen Raum" (ebd.) beschreibt die Platzierung von Werken (beispielsweise die Aufstellung von Skulpturen oder die Anbringung von Fassadenmalereien) in öffentlichen Räumen. "Kunst als öffentlicher Raum" intendiert ein ortsspezifisches Arbeiten und die Involvierung von Bewohner_innen der jeweiligen Gegend oder

von Passant_innen, um Prozesse der Kommunikation auszulösen (vgl. hierzu auch Lewitzky 2005).

 

"Kunst im öffentlichen Interesse" beschreibt prozessuale Projekte, die in Zusammenarbeit mit Menschen erarbeitet werden und in Bezug zu deren Alltag stehen. Intendiert wird, Prozesse der Mitgestaltung meist städtischer Räume auszulösen. Oftmals haben die Projekte aktivistischen Charakter oder werden in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen durchgeführt. Zur Diskussion steht, dass "Kunst im öffentlichen Interesse" auch der Standortoptimierung dienen kann oder die Illusion der Mitbestimmung erweckt (beispielsweise bei der Gestaltung des Stadtraumes einer bestimmten Gegend), wobei diese doch langfristig nicht realisierbar ist.120

 

In seinen öffentlichen Interventionen formuliert Christian Hasucha den Zugang des "Sich- Einmischens" (Christian Hasucha in Funken 2001). Im Interview mit Peter Funken macht er deutlich, dass seine Projekte nicht nur den Mitarbeitenden, sondern vor allem Besucher_innen und Anwohner_innen die Möglichkeit geben sollen, sich zu involvieren. Kritisch ist anzumerken, dass sich nur diejenigen einmischen können, die vorab über das Angebot informiert wurden und sich anmelden.

 

Am Beispiel von "Günters Fenster" erklärt der Künstler, dass er in temporären Interventionen Situationen herstellt, die dem Akteur ermöglichen, seinen "forschenden Blick" (ebd.) auf die alltägliche Umgebung zu richten. Veränderungen an den räumlichen Settings sind für Nutzer_innen aber nur im Projekt "Wohnen in Slubfurt" möglich. Der Künstler arbeitet wiederholt mit räumlich erhöhten Standorten, Plattformen, Positionen am Fenster oder auf einem Hausdach. Die geschaffenen temporären Orte werden auf diese Weise aus einer alltäglichen Umgebung hervorgehoben.

 

Die Projektbeschreibung von "Die Insel" (einer temporären erhöhten Plattform, die stundenweise genutzt werden kann) verweist auf die Möglichkeit, "aus dem hektischen Stadtbetrieb" auszusteigen: "Das 360-Grad-Panorama des täglichen Lebens fungiert als öffentlich-privater Rückzugsort, der einen kalkulierten Bruch mit dem Alltag zulässt" (Kunst im öffentlichen Raum Wien o. J.) Der Zugang des Künstlers scheint weniger auf das Sich-Einmischen in den Alltag als vielmehr auf das Heraustreten aus dem Alltag durch das Einnehmen einer räumlich erhöhten Position konzentriert.

 

Der Begriff der "öffentlichen Intervention" (Christian Hasucha in Funken 2011) ist im Zusammenhang mit Christian Hasuchas Arbeit insofern nachvollziehbar, als seine ortsspezifischen Interventionen in alltägliche Räume eingreifen. Die Einmischung, das Eingreifen in diese alltäglichen Räume, vollzieht sich im Rahmen der Wechselwirkung von Blickverhältnissen und räumlichen Positionen, nicht aber auf einer aktivistischen Ebene, die langfristige Veränderungen der räumlichen Strukturen der gewählten Orte anstreben würde. Uwe Lewitzky (2005), der Kunst im öffentlichen Raum mit der Frage "Kunst für alle?" zur Diskussion stellt, nennt Spezifika von "Kunst als öffentlicher Raum", die auf Christian Hasuchas Arbeit zutreffen: einen Ort ästhetisch erfahrbar zu machen und positiv auf die "Lebensqualität der Bewohner" einzuwirken "indem eine künstlerische Praxis, die den Betrachter in das Werk integriert, die Schaffung kommunikativer Prozesse unterstützt".

 

4.4.1 Probewohnen in Slubfurt

 

Slubice (Polen) und Frankfurt/Oder (Deutschland), die beiden Teile der fiktiven Stadt Slubfurt, befinden sich in Grenzregionen, die mit wirtschaftlichen Problemen, Arbeitslosigkeit und sinkenden Bevölkerungszahlen zu kämpfen haben.121 Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges gehörte Slubice als Dammvorstadt von Frankfurt/Oder zu Deutschland, nach dem Krieg wurde entlang der Oder die Grenze gezogen. In der Folge kamen nach Slubice und nach Frankfurt/Oder Menschen, die wegen des Krieges oder seiner Folgen ihren Wohnort verlassen hatten. In den Jahren 1980 bis 1990 war aufgrund der politischen Situation kaum ein Grenzübertritt oder eine Kooperation möglich. Bis zum Vertrag von Krzy?owa/Kreisau (1990) bestand bei den Menschen Unsicherheit über den zukünftigen Fortbestand der Ländergrenze und sie lebten mit der Befürchtung, ihr neues Zuhause wieder verlassen zu müssen (vgl. Kurzwelly 2012: 140). Die Gründung der fiktiven Stadt Slubfurt im Jahr 1999 stellte einen Versuch dar, mit den Folgen der Grenzverschiebung nach dem zweiten Weltkrieg umzugehen und Kontakt, Austausch und Zusammenarbeit der Menschen zu fördern (vgl. Slubfurt.net/ Historiea o. J.). Es wurde ein Stadtparlament gegründet und in Zusammenarbeit mit dem Kollegium Polonicum eine Kunstsammlung zum Thema Grenze angelegt. Zusätzlich finden Workshops, Reparaturcafes und Kulturveranstaltungen statt. Die Initiative "Azylum in Slubfurt" (2014) nahm Bezug auf die Situation von geflüchteten Menschen (vgl. Slubfurt.net/Azylum o. J.).

 

Probewohnen in Slubfurt fand im Jahr 2005 im Rahmen von "Slubfurt City" (kuratiert von Michael Kurzwelly) statt. Auf einem Gerüst am Platz der Helden gegenüber dem Denkmal des Faschismus122 wurde in der fiktiven Stadt Slubfurt eine Loggia angebracht, die Interessierten einen Tag lang als Aufenthaltsort zur Verfügung gestellt wurde. Anmeldung zur Teilnahme konnte vorab die farbliche Gestaltung des Balkons ausgewählt werden. Der Platz der Helden befindet sich mitten in einem Wohngebiet123, das Denkmal wurde 1949 von Mieczys?aw Krajniak gestaltet, es zeigt einen polnischen und einen sowjetischen Soldaten. Die temporäre Intervention von Christian Hasucha hatte zur Folge, dass ein Prozess der Auseinandersetzung mit dem Monument in Gang gebracht wurde.

 

Olaf Grüneis (2005) weist darauf hin, dass das Projekt im Kontext von Erinnerungspolitik "einen Diskurs" einforderte, "an dem die Lebenden beteiligt werden müssen". Christian Hasuchas Zugang des Sich-Einmischens im Rahmen seiner öffentlichen Interventionen impliziert in "Probewohnen in Slubfurt" mehrere Faktoren: 1. Die Entscheidung, an der Aktion teilzunehmen und den Aufenthaltsort einen Tag lang zu nutzen und zu gestalten. 2. Den "forschenden Blick" (Funken 2001) auf die eigene alltägliche Umgebung zu richten (siehe auch Abbildung 8). 3. Sich zur Vergangenheit (zum Denkmal des Faschismus) in Beziehung zu setzen. 4. Sich der Situation auszusetzen, von vorbeikommenden Pasant_innen beobachtet zu werden, kann auch bedeuten, sich dem Risiko potentieller Aggression auszusetzen (in der Nacht vor dem Abbau wurde das Gerüst von Unbekannten devastiert).

 

Olaf Grüneis (2005) beschreibt die räumliche Situation des Probewohnens: "‚Platz der Helden', auf einer Seite das ‚Denkmal gegen den Faschismus'. Ein Baugerüst hebt eine Loggia etwa drei bis vier Meter über den Platz. Ist die Tür ins Schloss gefallen, trübt nichts mehr den Eindruck von Loggia, von Daheimsein, von Innerlichkeit." Im Kapitel "Fenster, Balkon und Fassade" wird anhand historischer Beispiele diskutiert, auf welche Weise der Balkon in seiner ambivalenten Funktion als "Bühne" und "Tribüne" (Auer 1996: 51) die Beteiligung an öffentlichen Auseinandersetzungen ermöglichte: für Auftritte von Würdenträgern und politischen Akteuren, für die Beteiligung an Aufständen (indem Wurfgeschosse auf Polizei und Militär geschossen werden) und für die beobachtende Teilnahme an Kundgebungen und Paraden. In Christian Hasuchas Projekt wurde die Loggia zum Ort des "Sich-Einmischens", auf diese Weise wurde "die vertraute Dialektik von privat und öffentlich" (Wendt 1999)

unterwandert. Im Folgeprojekt "Probewohnen in Wilhelmsburg" ging das "Sich-Einmischen" der Teilnehmer_innen noch einen Schritt weiter: Die Aktion war Teil des Festivals "Aussicht auf Veränderung" (kuratiert von Ute Vorkoerper und Andrea Knobloch, 2010) in Hamburg- Wilhelmsburg, einem Stadtteil der den Ruf eines sozialen Brennpunktes hat. Die dortige Loggia wurde auf dem Dach des Marktkauf-Parkhauses montiert und unter anderem für den Protest gegen den Bau einer Bundesstraße genutzt (vgl. Wiensowski 2010).

 

4.4.2 Günters Fenster

 

Im Jahr 2000 lud Christian Hasucha im Rahmen der "Müllheimer Medienmeile" seinen Nachbarn Günter Schulz ein, den Wohnort von Berlin-Neukölln für zwei Wochen nach Mühlheim/Ruhr zu verlegen. Er ließ für Günter Schulz einen Pavillon errichten, dessen Grundriss den Maßen seines Zimmers entsprach, das Fenster wurde ebenfalls in den Originalmaßen nachgebaut, seine Möbel transferiert. Günter Schulz verbrachte, wie auch in Berlin, seine Tage am Fenster (zur Übernachtung bekam er ein Hotelzimmer zur Verfügung gestellt). Der Künstler erklärte im Interview mit Peter Funken (Funken 2001) anhand von "Günters Fenster" die Intention seiner öffentlichen Interventionen, alltäglichen Situationen verstärkte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Zentral war für ihn "der forschende Blick […], der sich den vor Ort vorgefundenen Dingen, Abläufen, Strukturen und den damit lebenden Menschen zuwendet." Günter Schulz stand am Fenster in Müllheim/Ruhr und beobachtete die Umgebung, der Künstler besuchte ihn und leistete ihm Gesellschaft.

 

Die Arbeit von Christian Hasucha zeichnet aus, dass er mit den Akteur_innen seiner Projekte ausführliche Gespräche führt, um die Menschen kennen zu lernen und sich mit ihnen auseinander zu setzen. Die Beteiligten, in diesem Fall Günter Schulz, werden nicht als leblose Statisten behandelt, sondern ihre Wahrnehmung der Intervention ist Teil des Prozesses. Der Künstler adaptiert seine Konzepte auch entsprechend (vgl. Funken 2001, Kohrt 2000). Christian Hasucha arbeitet in seinen öffentlichen Interventionen wiederholt mit erhöhten Positionen, die den Teilnehmenden als Aufenthaltsort, Plattform oder Aussichtspunkt zur Verfügung stellt: In Köln (1989) ließ er einen Stuhl auf einer Mauer montieren. Ein Akteur saß im Auftrag des Künstlers drei Wochen lang auf dem Stuhl und betätigte in unregelmäßigen Abständen den Auslöser eines Leuchtkastens, der das Wort "Jetzt" erstrahlen ließ. Der Erlebnisbericht des Akteurs sowie die Entwurfszeichnung des Künstlers wurden in der Folge publiziert (vgl. Tauchert 2013). "Die Tasche" (2001) war ein Projekt, das das Verhältnis zwischen Innen und Außen zum Thema machte: In einer Berliner Kneipe wurde eine gläserne Kabine (mit einem Stuhl, Sitzhöhe ca. 1,5 Meter über dem Fußboden) aufgestellt. Die Glaskabine war nur von der Straße aus zugänglich. Das Projekt "Herr Individual geht" wurde in mehreren Städten zwischen 1987 und 2010 durchgeführt: auf einem 2,4 Meter hohen Sockel ging ein Akteur eine Woche lang täglich drei Stunden auf einem Laufband.124

 

Der Künstler erklärte im Interview mit Peter Funken, dass er seine öffentlichen Interventionen nicht nur situationsbezogen konzipiert, sondern vielmehr durch die Eingriffe neue Situationen entstehen lässt, die irritierend wirken können und deren Verlauf nicht kontrollierbar sei (vgl. Funken 2001). Irritierend sei, dass das mediale Eindringen ins Daheim eine Umkehr erfuhr. In der aktuellen Situation von Reality-TV, medialer Überwachung und medialer Veröffentlichung häuslicher Lebensumstände stellte Christian Hasuchas Inszenierung einen Versuch dar, die mediale Durchdringung des Daheims zum Thema zu machen und ins Gegenteil zu verkehren, indem er den Akteur seiner Inszenierung in einer erhöhten Beobachterposition platzierte. "Nicht wir, die Öffentlichkeit, sind die Voyeure, die einer eingesperrten Gruppe von Leuten zusehen und sie lustvoll observieren, sondern diesmal ist es ein einzelner Mensch, noch dazu einer, der als Frührentner zu den Benachteiligten der Gesellschaft zählt – der aus einem Innenraum seine Blicke auf das öffentliche Leben wirft." (Funken 2001) Dieser Versuch wird in der Folge zur Diskussion gestellt.

 

Michel de Certeau beschreibt in seinen Überlegungen zum Verhältnis zwischen städtischem Raum und Alltagspraxen die erhöhte Beobachterposition als panoptisch, als Möglichkeit, auf visuellem Weg Kontrolle auszuüben (vgl. de Certeau 1988). Der Autor spricht vom World Trade Center als Symbol der Macht und Kontrolle (passend zur Entstehungszeit des Textes). In der Produktionszeit von "Günters Fenster" haben allerorts vorhandene Kameras und soziale Medien die Funktion übernommen, die Michel de Certeau den Türmen zugeschrieben hat. Michel Foucault setzt sich anhand von Jeremy Benthams "Panopticon" mit räumlichen und visuellen Settings der Disziplinierung und Kontrolle auseinander und macht deutlich, dass das Wissen über das potentielle Vorhandensein des Blicks einer kontrollierenden Instanz zur Folge hat, sich prophylaktisch so zu verhalten, als ob die Überwachung ein permanenter Zustand wäre (vgl. Foucault 1975). Als "Hauptwirkung des Panopticon" bezeichnet er "die Schaffung eines permanenten und bewussten Sichtbarkeitszustandes" (ebd. 168). Im Zusammenhang mit Überwachungsmaßnahmen bei Ausbruch der Pest in Städten (im 17. Jahrhundert) beschreibt er, dass sich die Menschen täglich bei Aufruf ihres Namens am Fenster zeigen mussten und verweist so auf die Funktion des kontrollierenden Blickes (vgl. ebd.). Günters Position am Fenster verweist folglich auf die Alltäglichkeit medialer Kontrolle und, wie in der Folge erläutert, wird, auf die Ambivalenz der Beobachterposition im Zuge dauerhafter Sichtbarkeit (vgl. Foucault 1975).

 

Der Akteur Günter Schulz befand sich an der Schnittstelle zwischen Innen- und Außenraum und wurde selbst Gegenstand des Interesses der Passant_innen sowie der medialen Berichterstattung in Print-, Onlinemedien und Fernsehen (vgl. Bartls 2016). Zusätzlich veröffentlichte Christian Hasucha in der Projektdokumentation Fotografien von Günters Wohnzimmer (sowohl in Berlin als auch in Mülheim/Ruhr), Möbeln, Erinnerungsgegenständen und Freunden (vgl. Hasucha 2013: 92). Es wurden diverse Details über die Lebensumstände von Gunter Schulz beschrieben: der Zustand seines Kissens, die Dauer  seines täglichen Aufenthaltes am Fenster, seine biografischen Daten, seine berufliche Situation.

 

Im Jahr 2000, dem Entstehungsjahr der Intervention, wurde die TV-Serie Big Brother in Deutschland begonnen (vgl. Krasny 2002). Zahlreiche Reality-TV-Serien, in Österreich etwa "Teenager werden Mütter" oder "Wir leben im Gemeindebau" (dessen Produktion mittlerweise wegen gehäufter Proteste beendet wurde) machen deutlich, dass der Raum des Wohnens von seiner medialen Inszenierung nicht zu trennen ist. Die "Performance im Schauplatz Wohnung" orientiert sich an Zuseherquoten, Followern und Likes ("gefällt mir"- Angaben auf Facebook) und macht aus dem Zuhause eine "öffentliche Bühne" (Krasny 2002). Das Daheim ist nicht nur im Kunstkontext Gegenstand des medialen Interesses und der Veröffentlichung in sozialen Medien. Als Arbeitsplatz ist die Wohnung bei Skype-Gesprächen präsent, ihre Ausstattung Teil des Selbstmanagements. Christian Hasuchas Inszenierung, die als Reaktion auf das massenmediale Eindringen ins Zuhause konzipiert war, hatte die mediale Veröffentlichung von Günters Wohnräumen, seinen Erinnerungsgegenständen und biografischen Daten zur Folge, die Darstellungen und der Text im Katalog leisteten diesem Vorgang Vorschub.125

 

Es zeigte sich, dass Christian Hasuchas Versuch, seinen Akteur auf einer erhöhten Beobachterposition zu platzieren, um die mediale Durchdringung des Daheims ins Gegenteil zu verkehren, zur Folge hatte, dass Günter Schulz selbst zum "Beobachteten" wurde: der Akteur wurde zum Gegenstand des Interesses der Passant_innen und des medialen Interesses, die Kameras richteten sich auf ihn.

 

4.4.3 Die Insel

 

Die mediale Durchdringung des Daheims ist nur ein Aspekt der Diffusion privater und öffentlicher Räume: Einerseits wird das Zuhause durch mediale Kommunikation zum öffentlichen Raum, anderseits werden mit dem Privaten konnotierte Tätigkeiten (telefonieren, essen, schlafen) im Stadtraum durchgeführt. Christian Hasuchas Intervention "Die Insel", eine erhöhte mit Gras bewachsene Plattform, die der Künstler in mehreren Städten im öffentlichen Raum aufstellt, wird zum Thema gemacht, um den Fokus auf die Durchführung so genannter privater Tätigkeiten im Stadtraum zu richten. Christian Hasucha konzipierte das Projekt im Jahr 2006 für das Kunstfestival "Okkupation"126 in Berlin. In Neukölln stand "Die Insel" auf dem Platz neben dem Rathaus127 und konnte von Interessierten reserviert und nach eigenem Wunsch genutzt werden. Zu manchen Zeiten hielt sich der Künstler selbst dort auf und empfing Besuch.128 Der Aufenthaltsort wurde über eine Leiter und eine Einstiegsluke betreten und vier Wochen lang (von insgesamt zweihundert Menschen) zum Sonnen, Frühstücken, Grillen, zum Arbeiten und zur Übernachtung im Zelt genutzt. In der Folge wurde die Intervention in Lier (Belgien) 2007, in Fribourg (Schweiz) 2008 und in Wien (2017) gezeigt.

 

Am 28.7.2017 hatte ich in am Nestroyplatz in Wien die Möglichkeit, die Plattform selbst zu nutzen. An diesem Ort laufen mehrere Straßen zusammen, von denen eine (die Praterstraße) sehr stark befahren ist. Unsere Gruppe bestand aus zwei Erwachsenen und zwei Jungendlichen, die zum reservierten Zeitpunkt die Leiter bestiegen und sich eine Stunde auf der erhöhten Rasenfläche aufhielten. Die erhöhte Position hatte zur Folge, den neugierigen Blicken der Vorbeigehenden ausgesetzt zu sein und bewirkte, dass die Zeit anfangs langsam verging und wir nach einer Beschäftigung suchten, bis ein Gewöhnungseffekt eintrat. Zudem war die Fläche der Plattform konvex (nach oben gewölbt), so dass Vorsicht geboten war, die mitgebrachten Gegenstände nicht durch Wegrutschen zu verlieren.

 

Die Plattform hatte mehrere Funktionen: Als Kommunikationsort verdeutlichte sie das Bedürfnis nach konsumfreiem Aufenthalt im Stadtraum. In gleicher Weise aber könnte unterstellt werden, dass sie das Bedürfnis der Kunstwelt nach außergewöhnlichen Aktionen erfüllen würde. Vor allem aber fungierte die Plattform als "Aussichtspunkt" und "Präsentationsteller" (Okkupation o. J.). Der Ort exponierte seine Nutzer "in die Sichtbarkeit eines auf dem Markplatz aufgestellten Varietes" (Knobloch 2013). "In steter Erwartung eines Publikums verwandelt sich jede unwillkürliche Geste, jede spontane Bewegung in die Vorführung des Besonderen." (Knobloch 2013). Wie bereits in der Diskussion der Fensterposition von Günter Schulz deutlich wird, ist die räumlich erhöhte Position ambivalent. Sie bietet nicht nur Überblick, sondern setzt die Akteure ins Zentrum des Interesses der Passant_innen, der Medien und auch des kunstinteressierten Publikums. Bedingung der Nutzung der Plattform ist, der Veröffentlichung von Dokumentationsfotos des Aufenthaltes zuzustimmen (siehe Nutzungsvereinbarung im Anhang). Die Nutzung der Plattform machte den Bedarf an konsumfreien, variabel nutzbaren Orten im Stadtraum deutlich. Insofern leistet die Arbeit einen Betrag zur Auseinandersetzung um die Frage der Zugänglichkeit des Stadtraums und dessen Nutzungsmöglichkeiten abseits des Konsumzwangs. Gleichzeitig wurden aber die Menschen auf der "Insel" den neugierigen Blicken der Vorbeigehenden, dem medialen Interesse und den Blicken des Kunstpublikums ausgesetzt.

 

Die Tätigkeiten, die vor den Augen der Vorbeigehenden durchgeführt wurden, sind Essen, Besuch-Empfangen, Lesen, Telefonieren, Übernachten. Handlungen, die mit dem Privaten und mit dem Wohnen konnotiert sind (vgl. Knobloch 2013: 65), aktuell aber verstärkt im Stadtraum durchgeführt werden. Der Anblick von Menschen mit Mobiltelefon oder Kaffeebecher in der Hand ist auf der Straße mittlerweile alltäglich, Geburtstagsfeier und Mittagsschlaf werden im Park durchgeführt. Die Infrastruktur der Städte bietet zahlreiche Möglichkeiten, reproduktive Tätigkeiten wie Nahrungsaufnahme und Körperhygiene aus der Wohnung in den Stadtraum zu verlagern. "Die moderne Stadtmaschinerie mit ihrer Überfülle aus Gütern, Dienstleistungen und Infrastrukturen kann als vollständige Vergesellschaftung des privaten Haushaltes begriffen werden" (Siebel/Werheim 2003)

 

Der Titel des Projektes, "Die Insel", beschrieb einen geschützten Rückzugsraum, die Plattform fungierte als Inszenierung eines Wohnzimmers, das im Zentrum der Aufmerksamkeit der Vorbeigehenden platziert ist (vgl. Knobloch 2013). Das häusliche Wohnzimmer war bereits vor dem Zeitalter der digitalen Kommunikation ein öffentlicher Raum. Seine Funktion ist, Gäste zu empfangen, sich zu präsentieren; entsprechend werden die Gestaltungselemente (Möbel, Lampen, Bilder) gewählt und das Verhalten ausgerichtet: "selbst die Verhaltensregeln für das Bewohnen richten sich an ein Publikum, das latent immerzu anwesend ist." (Knobloch 2013) Wie im häuslichen Wohnzimmer wurden auf der "Insel" gegenüber dem Rathaus in Berlin-Neukölln Gäste empfangen und bewirtet, auf einer Bühne in 2,5 Metern Höhe. In den drei diskutierten Projekten, "Probewohnen in Slubfurt", "Günters Fenster" und "Die Insel" wird die Ambivalenz räumlich erhöhter Positionen im Stadtraum deutlich: Die Intention des Künstlers, sich mit seinen Arbeiten in den städtischen Alltag zu involvieren, indem er Situationen herstellt, die den Nutzer_innen ermöglichen, aus der Alltagssituation herauszutreten und "ihren forschenden Blick" aus einer erhöhten Position auf die Umgebung zu richten, steht der Ambivalenz dieser Positionen gegenüber. Wer Christian Hasuchas Angebote, beispielsweise die Loggia oder die Insel benutzt, ist Gegenstand des Interesses der Passant_innen. "Wohnen in Slubfurt" und "Die Insel" stellten Situationen her, die als Inszenierung von Wohnzimmern im Stadtraum gelesen werden können. Sie verweisen auf die Durchlässigkeit der Grenzen öffentlicher und privater Räume im Wohnen: Erstens fungieren sowohl in der historischen Entwicklung des bürgerlichen Haushaltes als auch aktuell (in Anbetracht des medialen Eindringens ins Daheim) Wohnzimmer als öffentliche Räume der Kommunikation129. Zweitens kann in europäischen Städten des 21. Jahrhunderts eine Wechselwirkung festgestellt werden: So genannte private Tätigkeiten wie Essen und Telefonieren werden im Stadtraum durchgeführt, während die Mauern des Daheims in Folge von Social Media und vernetzter Kommunikation durchlässig geworden sind (wie sich in dem Projekt "Günters Fenster" zeigt). Günters Position am Fenster im Rahmen eines Kunstprojektes schafft ihm nicht nur Sicht auf die Umgebung, sondern hat zur Folge, dass seine Wohnsituation und seine Lebensumstände Gegenstand der medialen Veröffentlichung werden.

 

4.4.4 Blickverhältnisse und räumliche Ordnungen

 

In den untersuchten Arbeiten von Maja Bajevi? und Christian Hasucha zeigt sich, dass Blickverhältnissen als räumlichen Verhältnissen Machtrelationen eingeschrieben sind: Räume werden entlang gesellschaftlicher Regeln prozessual hergestellt (vgl. Löw 2001: 241). Der Aufenthalt in Räumen, das Einnehmen bestimmter Plätze und damit bestimmter Positionen des Blickens und Angeblickt-Werdens orientiert sich an ebendiesen gesellschaftlichen Regeln und Verhaltensnormen. Wem welche Plätze zugebilligt werden, ist abhängig von den Faktoren Geschlecht*, Herkunft, soziale Situation, Alter, Ability, Religion und weiteren Faktoren. Ich möchte zur Diskussion stellen, dass künstlerisches Arbeiten das Potential hat, in räumliche Ordnungen einzugreifen. In Ordnungen, die vorgeben, welche Positionen von welchen Personen wann und wie einzunehmen sind. In den untersuchten Projekten von Maja Bajevi? und Christian Hasucha werden unterschiedliche konzeptionelle Ansätze des Eingreifens in räumliche Ordnungen erprobt. Maja Bajevi? und ihre Mitarbeiterinnen nutzen in "Women at Work – Under Construction" die Umbausituation der National Gallery of Bosnia and Herzegowina, um am Baugerüst Motive aus den ehemaligen Häusern der Beteiligten in die Gerüstabdeckung zu sticken. Die erhöhte Position wird verwendet, um im Stadtraum Spuren zu hinterlassen und minorisierte Lebensrealitäten einzusticken. Die Beteiligten arbeiten hinter der Abdeckung, einem semi-transparenten Gewebe, und sind auf diese Weise gleichzeitig sichtbar und verdeckt. Es handelt sich um eine Konzeption der Sichtbarmachung, die mit dem Changieren zwischen Zeigen und Verdecken, mit Transparenz und Verhüllung arbeitet.

 

Christian Hasucha stellt Plattformen zur Verfügung, die den Teilnehmenden ermöglichen, ihren "forschenden Blick" auf die Umgebung zu richten. Dieser Vorgang fungiert als Heraustreten aus dem Alltag durch Einnehmen einer erhöhten Position (im Fall von Günters Fenster wird die alltägliche Position am Fenster insofern verändert, als das Fenster in eine andere Stadt transferiert wird). "Wohnen in Slubfurt", und "Die Insel" sind vom Künstler geschaffene, temporäre Orte, die den Nutzerinnen ermöglichen, Positionen einzunehmen, die im städtischen Alltag nicht vorgesehen sind. In den untersuchten Projekten wird die Ambivalenz dieser erhöhten Plätze deutlich: Den Überblick über die Umgebung zu haben, bedeutet in gleicher Weise, den Blicken der Vorbeigehenden und dem medialen Interesse ausgesetzt zu sein.

 

 

Abbildung 6: Christian Hasucha: Probewohnen in Slubfurt, 2005, Foto: Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, Bonn

 

Abbildung 7: Christian Hasucha: Probewohnen in Slubfurt, 2005, Foto: Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, Bonn

 

Abbildung 8: Christian Hasucha: Probewohnen in Slubfurt, 2005, Foto: Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, Bonn

 

Abbildung 9: Christian Hasucha: Günters Fenster, 2000, Foto: Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, Bonn

 

 

Abbildung 10: Christian Hasucha: Günters Fenster, 2000, Foto: Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, Bonn

 

Abbildung 11: Christian Hasucha: Die Insel, Wien, 2017, Foto: Romana Hagyo

 

Abbildung 12: Christian Hasucha: Die Insel, Wien 2017, Foto: Romana Hagyo

 

Abbildung 13: Christian Hasucha: Die Insel, 2006, Entwurfszeichnung: Christian Hasucha/VG Bild-Kunst, Bonn

 

 

117 Der Titel dieses Kapitels referiert auf die Arbeit "Probewohnen in Slubfurt" von Christian Hasucha.

 

118 Christian Hasucha ist 1955 in Berlin geboren. Der Künstler beginnt nach seinem Studium die Projektreihe

"Öffentliche Interventionen", die er bis heute fortführt. Seine Arbeit konzentriert sich auf Kunstprojekte im

öffentlichen Raum (vgl. Sculpture Network o. J.).

 

119 Die Intention, keine fertigen Werke zu bieten, sondern sich in Alltagssituationen zu involvieren, steht in der

Tradition einer Entwicklung, die seit den sechziger Jahren ihren Fortgang nahm. Die Künstler_innen verließen

die traditionellen Kunsträume und Galerien, verweigerten, Werke zu liefern, die sich einer bestimmten Gattung

zuordnen lassen und konzentrierten sich auf prozessuale Aspekte des künstlerischen Arbeitens.

 

120 Zu diesen Kritikpunkten wurden und werden zahlreiche Diskussionen geführt, für einen Überblick vergleiche

beispielsweise Lewitzky 2005, Babias/Könnecke 1998.

 

 

121 In Frankfurt/Oder soll die Bevölkerungszahl laut Prognosen bis 2020 auf die Hälfte im Vergleich zum Stand

von 1985 sinken (vgl. Fichter-Wolf/Knorr-Siedow 2008: 35).

 

122 Das Denkmal befindet sich in Slubice am Platz der Helden und wurde 1949 von Mieczys?aw Krajniak gestaltet. Zu sehen sind ein ein polnischer und ein sowjetischer Soldat.

 

123 Das Denkmal befindet sich in Slubice.

 

124 Die genannten Projekte sind auf der Website des Künstlers dokumentiert (vgl. Hasucha o. J.).

 

125 Obwohl der Künstler versuchte, Günter von den Medien abzuschirmen, finden sich die Details aus Günters

Leben (sein Einkommen, sein Tagesablauf etc.) in Zeitungsberichten (vgl. Kohrt 2000).

 

126 Das Festival "Okkupation" organisierte Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Zur Vorbereitung wurde ein

Symposium abgehalten. In der Projektbeschreibung wird formuliert: "Wobei es bei den temporären Eingriffen,

die das Projekt realisieren will, um den Prozess der Eroberung geht, der eine Gestaltung - das heißt eine

Überführung einer künstlerischen Praxis in eine politisch-, gesellschaftlich- oder stadtplanerische Praxis -

anregen könnte." (Schumacher/Jonas 2006).

 

127 Durchmesser: 7 Meter, Höhe: 2,5 Meter.

 

128 Die Intervention wurde mehrere Male durchgeführt: Am Marktplatz von Lier (Belgien) 2007, in Friburg

(Schweiz) 2008, in Wien 2017.

 

129 Der Formulierung "Wohnzimmer fungieren als öffentliche Räume der Kommunikation" ist hinzuzufügen,

dass aktuell nicht nur Wohnzimmer als öffentlichen Räume fungieren, sondern in gleicher Weise andere

Wohnräume, in denen medial vernetzt kommuniziert wird.