Peter Funken

(Text aus "Art Reviews"
³Interview mit Christian Hasucha"
www.art-on.de, Berlin 2000)




art-on:
Typisch für Deine künstlerische Arbeitsweise ist die Intervention im Stadtraum. Du planst für den Bezirk Berlin-Neukölln, in dem Du lebst und arbeitest, in diesem Jahr verschiedene Projekte. Darf man wissen, welcher Art Deine Interventionen in Neukölln sein werden?

Hasucha:
Intervention ist ja ein Begriff, der im Gegensatz zur Installation einen dynamischen Prozeß beschreibt. Anders als bei den eher statischen Raumausstattungen werden bei Interventionen Vorgänge initiiert, die oft in die Alltagsstrukturen eingreifen. Das kann natürlich auch im Museum passieren, wo dann z. B. administrative Vorgänge bearbeitet oder umstrukturiert werden. Das hat unter Umständen weitreichende Wirkung und verlangt ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen Interventionist und Museumsleiter. Im Alltagskontext ist man allerdings weit weniger eingeschränkt und braucht auch keine Besucherquoten zu erfüllen, wenn die Mittel für freie Projekte zur Verfügung stehen. In Neukölln, einem Arbeiterbezirk, der im Ruf steht, eine weitgehend kunstfreie Zone zu sein, ist drastisches Alltags- und ³Alkãtagsgeschehen sehr präsent. Hier bietet sich ein natürliches Kontrastpotential an, um mit subtilen Mitteln seltsame Vorgänge zu initiieren, die als Modellkonstellationen Beispielcharakter bekommen könnten. Daher habe ich mit dem Kulturamt Neukölln Kontakt aufgenommen und bisher erreicht, das eine ABM-Stelle zur Akquise von Mitteln bereitgestellt wird.

art-on:
Was beabsichtigst Du mit diesen Interventionen. Gibt es Erfahrungswerte in Hinsicht auf die Reaktionen der Bevölkerung?

Hasucha:
Die Interventionen, die im Übrigen nicht nur von mir, sondern überwiegend von anderen Künstlerinnen und Künstlern realisiert werden sollen, bieten die Chance, ein Gegenbild zur vorherrschenden Disneyland-Kunst zu liefern. Es geht eben nicht darum, möglichst publikumsfreundliche Rundgänge zu Stationen der Kunst-Drops zu veranstalten, sondern um die adäqate Umsetzung von künstlerischen Projekten, die mit der Umgebung und mit deren Erscheinungen und Strukturen korrespondieren. Erfahrungswerte gibt es in Neukölln bisher sehr wenig, da es hier bisher kaum Interventionskunst gab. Von daher ist das Reaktionspotential auf der Straße noch weitgehend unangetastet.

art-on:
Du arbeitest seit Anfang der 80er Jahre im und für den öffentlichen Raum. Hat sich nach Deiner Erkenntnis der Begriff des Öffentlichen seitdem stark verändert?

Hasucha:
Der Begriff des Öffentlichen hat sich seit den Achtzigern sehr stark verändert. Konnte man sich damals nur in Ansätzen vorstellen, dass die elektronische Vernetzung zur weltweiten Informationsschwemme führen könnte, ist es heute notwendig, die elektronische Öffentlichkeit zu kanalisieren. Die elektronische Öffentlichkeit konkurriert ja mittlerweile mit der nicht-.virtuellen Öffentlichkeit und bietet Möglichkeiten der fiktiven Selbstdarstellung sowie der fiktiven Reaktion darauf. Ich bezeichne das als die ³enthärtete Weltã. Demgegenüber habe ich soeben wieder die harte Version der Direktbegegnung prononciert, indem ich blinddates zwischen Unbekannten arrangierte.

art-on:
Kunst und Kunstmarkt siedelten sich in den Jahren seit der ³Wendeã in ³Mitteã und am ³Prenzlauer Bergã an und verließen zunehmend die West-Berliner Bezirke Charlottenburg und Kreuzberg. Wie sieht die Situation in Neukölln aus, dem von der Einwohnerzahl größten Bezirk der Stadt?

Hasucha:
Nach jüngsten Meldungen geht der Trend wieder von ³Mitteã und ³Prenzlauer Bergã weg, wegen des wachsenden Verlustes an authentischem Ambientes (was immer das heißen mag). Neukölln hat, nicht zuletzt wegen äußerst negativer Darstellung in überregionalen Nachrichtenmagazinen, den Ruf der Bronx von Berlin. Andererseits wohnen hier wegen der günstigen Mieten und billigen Lebenshaltungskosten viele Künstler, die offiziell aber mit dem Bezirk nichts zu tun haben wollen. Ich denke, der Bezirk wird unterschätzt. Sobald Künstler und Studenten zuzögen, was ja z. B. wegen der relativen Nähe zum entstehenden Unigelände Adlershof denkbar wäre, würde sich auch hier eine Szene bilden oder, vorsichtiger gesagt, die zarten Ansätze verstärken, die sich zum Beispiel im Bereich der Kneipenkultur bilden. Hier ein paar Impulse zu geben und Möglichkeiten der Kunstproduktion auszuloten, für die woanders bereits das Umfeld wegsaniert ist, ist denkbar. Voraussetzung dafür ist allerdings die Beibehaltung der Offenheit seitens der Politiker in einem Bezirk, der bevölkerungsmäßig größer ist als Kassel oder Karlsruhe.