Kai Bauer

(Text aus dem Katalog: INTERVENTIONEN,
herausgegeben vom Dortmunder Kunstverein, 1995)

CHRISTIAN HASUCHA
Interventionen


(aus der Eröffnungsrede im Dortmunder Kunstverein)

..."Wenn Sie als Vernissagenbesucher den Ansatz und die Konzeption von Christian Hasucha nicht kennen, werden Sie hier Gegenstände finden, die nicht aussehen wie Kunst, Sie werden Photographien sehen, die nicht das darstellen, was sie zeigen, und Sie sollen aus Zeichnung, Arrangement und Texten komplizierte Erläuterungen von eigentlich recht einfachen, klaren Handlungen verstehen.

Optimal wäre es, wenn Sie sich zwei Fragen stellten:

1.) Warum bin ICH überhaupt hier? - und 2.) Was hat das alles mit MIR zu tun?

Ich rate Ihnen, sich die erste Frage gut zu überlegen, und sie vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt ehrlich zu beantworten. Zur zweiten Frage möchte ich kurz verschiedene Fälle von Ausstellungssituationen erläutern und dann auf das konkrete künstlerische Anliegen hier eingehen.

Im ersten Fall kommen Sie in eine Ausstellung, und der Künstler versucht Ihnen zu zeigen, WAS er gesehen hat. Dies war vor allem vor der Erfindung der technischen Reproduktionsverfahren der Normalfall -Ziel war es, den Betrachter eine Landschaft, eine Bibelszene mit den Augen des Künstlers oder des Auftraggebers sehen zu lassen. Heute ist es vor allem die Photographie, die noch als Dokumentation und als Formulierung von Gesehenem aufgefasst wird.

Im zweiten Fall versuchen Künstler in einer Ausstellung zu zeigen, WIE sie etwas machen. Die Farbe der Maler beginnt zu laufen, Pinselstriche und Bewegungen werden sichtbar. Hier wird der subjektive und affektive Impuls des Künstlers gegen die technische Produktion der Massenmedien - Presse und Fernsehen - gesetzt. Der Künstler stellt seine Zeichen, seine individuelle Handlung gegen die Hoheitszeichen der Werbung und des Verkehrs, die als Symbole von Ordnung und Ver-ordnung die Menschen führen und ver-führen sollen.

Der dritte Fall ist ein großer Schritt in Richtung Abstraktion und Autonomie - hier zeigen uns die Künstler das Sehen selbst. Das Wahrnehmen der Welt wird zum Thema der künstlerischen Arbeit. Seit einiger Zeit wird uns in Ausstellungen gezeigt, wie man Ausstellungen macht, und wie man sie besucht und betrachtet. Maler malen Bilder, die keine Bilder sind, - auf jeden Fall keine sein sollen, Zeichner und Bildhauer tun so, als ob sie zeichnen oder bildhauern. Und die Besucher und Betrachter spielen alles mit - sie tun so, als ob sie etwas betrachten und sie tun so, als ob sie besuchen - als ob sie etwas suchten, - als ob sie hier überhaupt etwas zu suchen hätten.

Als Niklas Luhmanns Nachdenken über autopoietische und selbstreferentielle Systeme auch die Kunstwelt - die in Zeiten wirtschaftlicher Hausse in einer Art hysterischer Nabelschau verkrampft war - befallen hatte, trat ein fünfter Fall ein Einige Künstler zeigten gar nichts mehr, - sie gingen in die Stadt... (früher gingen sie aufs Land oder in die Wüste)

So auch Christian Hasucha Er entzieht sich dem Ausstellungsbetrieb seit Anfang der achtziger Jahre. Besonders in seinem Fall muß der Begriff 'Künstler' erweitert und neu definiert werden - er ist auch irgendwie Soziologe, - auch irgendwie Verhaltensforscher, - auch Medienexperte und Publizist. Er bleibt aber Künstler, weil er mit künstlerischer Herangehensweise subjektiv, irrational, spontan und mit Zufällen arbeitet und sich nicht auf die scheinbar objektiven Methoden der Wissenschaft einengen läßt.

Seine Kunstaktionen, - die er 'Öffentliche Interventionen' nennt, lassen sich vielleicht auch durch das umschreiben, was es bei ihm alles nicht mehr gibt: Keine Vernissage zur Eröffnung, keine Einladungskarte, keine Besucherquote, keine Verkäufe auf dem Kunstmarkt. Beim Projekt 'Ebene Tisch', das wir letztes Jahr mit ihm in Langenhagen realisierten, zeigte sich auch, daß seine Kunst nicht ein einziges Mal ins Feuilleton der Zeitungen geriet, sondern immer unter 'Politik' oder 'Regionales' - unter 'Vermischtes' behandelt wurde.

Seine Aktionen lassen sich in zwei Bereiche aufteilen. Der erste ist eine einfache, alltäglich oder häufig vorkommende Handlung als plastische Arbeit, - der zweite die Wellen, die diese Handlung in der Öffentlichkeit erzeugen kann (sowie die organisatorischen Vorbereitungen durch Künstler und Veranstalter).

Dieser zweite Schritt könnte - vorsichtig formuliert - als Arbeit an der sozialen Plastik beschrieben werden.

Zum Beispiel: 'WEGE in Dortmund, Projekt Nr. 20', Teil 1: Ein Dortmunder Bürger steht morgens auf und findet auf dem Weg zur Arbeit zwei Stellen heraus: Ein Gartentor, eine Hausnummer, eine Straßenecke, die ihm vorher nie aufgefallen sind, die er aber jetzt auf eine kleine Karte eintragen soll, um ein 20 Schritt langes Stuck seines täglichen Weges in eine vermittelbare Form zu bringen. Auf Plakaten in der Stadt wird er später sein ausgewähltes Wegstück, zusammen mit seinem Namen, veröffentlicht sehen.

Die Initiierung, das Auswahlverfahren, die Markierungen im Stadtbild und die Veröffentlichung auf Plakaten sind die 'Arbeit' des Künstlers, der Strukturen und Zeichensysteme der Stadt nutzt, um seine gewonnenen Erkenntnisse künstlerisch formuliert aufzuführen. Die private Handlung des täglichen Gehens wird erstens dem Individuum bewußt gemacht, zweitens durch die Markierung bezeichnet und damit als Teil des Privatlebens in ein neues Verhältnis zu den Funktionen des öffentlichen Stadtlebens gebracht.

Das Resultat - also das, was ich als riesige, stadtgroße Plastik bezeichnen möchte - ist eine Interferenz, eine Überlagerung von künstlerischen und verwaltungstechnischen Strukturen.

Hier in der Ausstellung, die der Künstler arrangiert hat, der damit - nach einer Art Auffrischungskur für die Kunst - in eine Institution der Kunstwelt zurückkehrt, wird den beiden ersten Teilen einer 'Öffentlichen Intervention' ein dritter Schritt hinzugefügt, - die Inszenierung innerhalb eines Kunstkontextes.

Auch die 'Öffentliche Intervention P' - von der Sie hier u.a. die Plattformen sehen - beginnt im ersten Schritt mit der banalen Handlung eines Normalbürgers auf dem Weg zur Arbeit: dieser Passant hat an einem Straßenmast seiner Wahl eine kleine Plattform anbringen lassen. Auch der Zeitpunkt, zu dem er sich auf diese Plattform stellt und wie lange er darauf verweilt, unterliegt seiner Entscheidung. Eine gewisse Situationskomik bei der Ausführung weist schon auf die Metapher hin, zu der die Plattform wird: sie steht für den Anspruch auf Überblick und Phantasie. Der Passant steht über den Dingen - wie Petrarca den Mont Ventoux erstiegen hatte, um zu göttlicher Erkenntnis zu gelangen. Er erhebt sich über das Alltägliche. Er schwebt über dem Boden, er hebt ab. Er blickt auf die anderen herab, die bodenständig mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben.

Dadurch, daß er sich einen Moment aus dem alltäglichen Zeitablauf und dem täglichen Weg heraushebt, hat er sich auch geistig auf eine höhere Ebene begeben. Und was ihn fast überheblich macht, ist der Schritt vom Eindeutigen (Sinn: ein Ziel erreichen) zum unendlich vieldeutenden Blick des Träumers. Er sieht in die Ferne und nimmt sich damit das Recht auf etwas Unbestimmbares heraus, ganz im Gegensatz zum 'Fern-Sehen' zuhause, das durch Sender und Apparat in kontrollierbare Normen begrenzt wird. Dieses bewußte Blicken auf die anderen, das Sich-Erkennen im anderen von einem erhabenen Standpunkt aus, ist die echte Kommunikation gegenüber der Pseudokommunikation der sogenannten Kommunikations-Medien, die ja in Wirklichkeit lndoktrinationsmedien sind.

Hasuchas momentane Rückkehr in die Institution Kunstverein durch das Arrangement in den Räumen hier führt wieder zur Authentizität der Ausstellung - es wird mit Hilfe der photographischen Erzählung dem Betrachter ermöglicht, mit den Augen eines anderen auf die Welt und die Begleiterscheinungen seiner Zeit zu blicken. Die Geschichte der 'Intervention P' als Photo- und Objektgalerie führte zu einer Reihe vermuteter 'Portraits', wobei eine objektive Dokumentation unmöglich bleibt. Das individuelle, spontane Erleben des Passanten auf der Plattform bleibt unergründlich und wird als banales Geheimnis gefeiert.

Dieser dritte Schritt - die Präsentation als Ausstellung, als Arrangement, als Inszenierung und als Zitat von Ausstellungsformen - wie der 'Ahnengalerie' - evoziert also die Frage nach der Kunst jenseits der Inszenierung: 1.) als plastische Arbeit mit Passanten, die auf den Plattformen stehen und 2.) als Aneignung öffentlicher Strukturen, um diese Situation hervorrufen zu können.

Solche Konzepte bauen auf Positionen der sechziger und siebziger Jahre auf. Der amerikanische Künstler Lawrence Weiner schrieb 1969: '1. Der Künstler kann die Arbeit machen. 2. Die Arbeit kann von einer anderen Person hergestellt werden. 3. Die Arbeit muß nicht realisiert werden.'

In Christian Hasuchas Arbeit ist das Werk außerdem auf den Angesprochenen angewiesen, der entscheidet, ob das Werk überhaupt existieren soll, - ohne dessen Mitarbeit das Werk überhaupt nicht existieren kann. Dies ist keine elitäre, sondern eine demokratische Kunstform."